Leben und Sterben des Glasknochenmanns

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
buecherfan.wit Avatar

Von

 

 

Manuel Jäger, der Glasknochenmann, hat eines Morgens einen Anfall von Atemnot. Kurz bevor er bewusstlos wird, kann er noch über das Babyfon seinen Freund und Nachbarn Lothar alarmieren. In letzter Sekunde wird er von dem Notarzt gerettet und gegen seinen Willen ins Marienhospital gebracht.

Wegen seiner Krankheit hat er sein halbes Leben in Krankenhäusern verbracht und weiß deshalb, dass sie für ihn nicht nur ein Ort der Heilung und Genesung sind, sondern auch große Gefahr bedeuten. Im Krankenhaus trifft er Schwester Dagmar, die ihn an seine vor vier Jahren verstorbene unvergessene große Liebe Lenora erinnert.

Im Krankenhaus geht es ihm schnell schlechter, weil er sich den Arm bricht und eine Bronchitis nicht behandelt wird, obwohl er die zuständige Ärztin darauf aufmerksam macht. Über weite Strecken geht es in diesem fast 400 Seiten langen Roman jedoch weniger um Manuel Jäger und sein schweres Los, sondern um den Krankenhausalltag mit allen bekannten Problemen, wie zum Beispiel Personalmangel, Pflegenotstand, überlastetes und chronisch übermüdetes Personal, die Intrigen auf der Station, die starren Hierarchien, gefährliche Fehler und Fehlentscheidungen, bei denen manchmal, aber keineswegs immer das Schlimmste gerade noch verhindert werden kann.

Es ist unbestritten, dass die Autorin das Fachwissen und die Insiderkenntnisse besitzt, um über Abläufe in Krankenhäusern zu berichten, aber sie tut das in einer epischen Breite, die der Lesbarkeit ausgesprochen abträglich ist. Es sind nicht nur die vielen Fachbegriffe für Krankheiten, ihre Symptome und die Behandlungsmethoden ( Plattenosteosynthesen,, Gilchrist-Verbände, Crutchfield-Extensionen, Ösophagusvarizenzblutung usw.), bei denen ich mich gefragt habe, ob ich das tatsächlich wissen muss, sondern auch all die anderen detaillierten Beschreibungen , zum Beispiel von Arbeitsgruppen zum Qualitätsmanagement, von Einsatzplänen für die Pflegekräfte, von Mängeln bei der Pflege, die an Anschaulichkeit nichts zu wünschen übrig lassen (“Der Kot ist flüssig und läuft ins Bett.”). Die angekündigten zentralen Fragen der menschlichen Existenz kommen in den ersten zwei Dritteln des Romans praktisch nicht vor, werden auch später eher am Rande behandelt, wenn Manuel Jäger in einem plötzlichen Sinneswandel beschließt, nicht mehr zu kämpfen, sondern das unausweichliche Ende zu akzeptieren, wobei der geheimnisvolle demenzkranke Wendelin Weihrauch eine Art Sterbebegleitung leistet. Diese kurze Begegnung von Manuel Jäger und Wendelin Weihrauch führt dann leider dazu, dass er von Bruder Anselm, einem Mönch, eines Verbrechens beschuldigt und von der Polizei abgeführt wird. Manuels Ende gerät unverständlicherweise zur Groteske, als die Ärzte trotz Schwester Dagmars Warnung eine Reanimation versuchen und dem lächelnden Toten alle Knochen brechen. Danach gibt es nur noch Gutmenschen. Die “guten” Schwestern, die ihre Verantwortung gegenüber den Patienten ernstnehmen, geben den Beruf auf. Schwester Dagmar hat Aussichten auf eine neues, besseres Leben, das der sterbende Manuel noch für sie eingefädelt hat, nachdem sie noch eine Grausamkeit des entmenschlichten Systems korrigiert hat: Sie verschafft einem obdachlosen Patienten die Möglichkeit, sich seinen Hund zurückzuholen.

Das Grundanliegen der Autorin, auf Missstände in Kliniken aufmerksam zu machen, ist sicherlich löblich, aber eine Darstellung in dieser Breite ist schwer verdaulich, und leider ist sie auch nicht frei von Klischees. (Der Chefarzt wird tatsächlich als Halbgott in Weiß bezeichnet). Eine Erkenntnis ist dem Leser jedenfalls sicher, falls er es bisher noch nicht wusste: krank und pflegebedürftig zu sein ist nichts für Feiglinge.