Weit entfernt von der Schwarzwaldklinik

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r.e.r. Avatar

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Wer wie ich seine Jugend in den 1980er Jahren verbracht hat, dem ist die oben genannte Fernsehserie sicher noch ein Begriff. Die Klinik im Glottertal mit ebenso gut ausgebildeten wie gut aussehenden Ärzten, mit patenten Pflegern und verständnisvollen Schwestern die sich jederzeit den Ängsten und Nöten ihrer Patienten annehmen und auch noch den hoffnungslosesten Fall zu einem guten Ende bringen. Wie weit entfernt wir heute von einer solch romantisch idealisierten Situation sind, zeigt das Buch “Gottes leere Hand” von Marianne Efinger auf drastische, aber sehr gut lesbare Weise.

 

Der Wissenschaftsjournalist Manuel leidet an einer angeborenen Anomalie. Er ist kleinwüchsig und hat Glasknochen. Hunderte von Knochenbrüchen hat er mit seinen 38 Jahren bereits hinter sich. Sie haben seinen Körper zusätzlich deformiert, so dass die geringste Erkältung für seinen eingedrückten Brustkorb das Todesurteil bedeuten kann. Kurz vor wird er nach einem Erstickungsanfall ins Krankenhaus eingewiesen. Unglückliche Umstände verketten sich. Man lässt ihn stundenlang vor dem Röntgenraum in einem zugigen Flur warten, eine Lernschwester verbrennt ihm mit einer Durchblutungssalbe das Gesicht und auf der Suche nach Ruhe vor seinen ungehobelten Zimmergenossen bricht er sich im Badezimmer die Hand. Nach wenigen Tagen ist sein Lebenswille fast gebrochen. Nur die einfühlsame Schwester Dagmar findet Zugang zu ihm, erinnert sie ihn doch an seine verstorbene Verlobte Lenora.

 

Marianne Efinger hat, laut Klappentext, einige Zeit selber als Krankenpflegerin gearbeitet und ihre Erfahrungen im vorliegenden Buch verarbeitet. Sehr einfühlsam verbindet Sie dabei die fachlich, sachlichen Informationen des medizinischen Alltags in einer Klinik mit der Gefühlsage der Patienten und der Situation der Pflegekräfte und Ärzte. Ihre Figuren definiert sie dabei weniger über Äußerlichkeiten als über ihre Gedankenwelt und Gefühlslage.

 

So erfährt man zwar, dass Schwester Dagmar hübsch ist und honigblonde Locken hat. Kennen lernt man sie aber über ihre Tagträume. Wenn sie darüber traurig ist, die Komapatientin aus Zeitmangel nicht richtig waschen zu können und davon träumt diese einmal mit einem duftenden Schaumbad zu verwöhnen. Auch das ihr keine Zeit bleibt mit den Patienten ein paar persönliche Worte zu wechseln belastet sie. Der neue Arzt im Praktikum Christian Fischer wird als so gut aussehend wie Brad Pitt beschrieben, interessanter ist aber die Entwicklung seiner Persönlichkeit. Aus Furcht zu versagen überspielt er seine Ängste und handelt oft wider besseres Wissen. Fest in dem Glauben sich dem in der Klinik herrschenden System anpassen zu müssen. Er versucht das pflegebedürftige Ehepaar Hauser gemeinsam in einer Heimanlage unterzubringen. Unter Druck seiner vorgesetzten Ärztin bricht er seine Bemühungen ab und lässt zu, das Herr Hauser allein in einer trostlosen Einrichtung landet. Tiefschläge wie dieser, die ihn am Anfang noch belasten, weichen einer allmählichen Abstumpfung.

 

Immer wieder beschreibt Efinger den Gegensatz zwischen humaner, am Patienten orientierter Pflege und den Gegebenheiten die in ihrer fiktiven Klinik vorherrschen. Man erfährt was passiert, wenn Stellen gekürzt, Schwestern überlastet und Ärzte Mangelware sind. Inwieweit diese Fiktion auf die real herrschende Situation übertragbar ist, weiß ich nicht. Schon bei der bloßen Vorstellung kann einem aber Angst und Bange werden. Vor allem weil die Autorin mit scheinbar großem Sachverstand schreibt.

 

So möchte ich das Buch eigentlich einer großen Leserzahl empfehlen. Gleichzeitig sollte ich aber auch warnen. Menschen die zu Hypochondrie neigen sollten besser die Finger davon lassen und sich lieber alte Folgen der Schwarzwaldklinik ansehen.