Ein leiser Blick auf den Krieg

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katercarlo Avatar

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Manchmal ist es ein Glück, nicht zu viel über ein Buch zu wissen, bevor man es liest – so erging es mir mit Grand Hotel Avalon. Hätte ich gewusst, dass es in irgendeiner Form den Zweiten Weltkrieg thematisiert, hätte ich wahrscheinlich gezögert. Und damit hätte ich etwas verpasst.
Denn was Maggie Stiefvater hier erzählt, ist kein Kriegsroman im klassischen Sinne. Es gibt keine Schlachten, keine Gräuelberichte von der Front, keine direkten Kämpfe – und gerade das macht das Buch so eindringlich. Der Krieg ist allgegenwärtig, aber nur als Schatten, der sich durch Räume, Erinnerungen und zwischenmenschliche Beziehungen zieht. Statt auf das Offensichtliche richtet Stiefvater den Blick auf die Zwischenräume: auf die psychologischen Spuren, auf die moralischen Grauzonen, auf das, was bleibt, wenn die Geschichte weiterzieht, aber die Menschen zurückbleiben.
Das Setting – ein altes Hotel mit fast märchenhaften Zügen – trägt ebenso zur Atmosphäre bei wie die leisen Fantasyelemente, die sich nie ganz erklären, aber genau dadurch faszinieren. Man muss nicht alles verstehen, um sich davon tragen zu lassen. Die Figuren sind vielschichtig, glaubhaft und menschlich, und gerade das gelingt der Autorin besonders gut: Sie zeigt nicht nur die "richtige" oder "falsche" Seite, sondern Menschen mit Geschichte, mit Fehlern, mit Hoffnung.
Grand Hotel Avalon ist ein stilles, eigensinniges Buch – ungewöhnlich, berührend und genau deshalb lesenswert.