Liebe trotz Traumata?

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kater_murr Avatar

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Ginny fühlt sich (gerade im Vergleich zu ihrer sehr femininen Schwester) nicht als „richtiges“ Mädchen. Sie ist lieber mit Jungen zusammen. Sie achtet sehr darauf nach außen, besonders Männern gegenüber unkompliziert, fröhlich, attraktiv und sympathisch zu wirken. Von ihren Mitbewohnern unbemerkt erbricht sie regelmäßig, um beim Essen mitzuhalten und trotzdem extrem dünn zu bleiben.
Adrian hasst seinen Job in einer Investmentbank. Sein Vater starb noch vor seiner Geburt und die Familie ist aus Ungarn nach Amerika eingewandert. Als er Ginny trifft, haben die beiden eine ganz besondere Verbindung. Aber wird es ihnen gelingen ihre Traumata zu überwinden?
Die Geschichte wird im Wechsel von Ginny und Adrian erzählt. Während ich Ginnys Sichtweise und besonders ihre Essstörung ausführlich thematisiert wird, blieb mir Adrians Hintergrundgeschichte etwas zu blutleer. Die Autorin hat sich, denke ich, bedingt durch ihre eigene Erfahrung mit Essstörungen, auf diesen Anteil der Geschichte konzentriert. Insgesamt fehlte mir eine tiefergehende Bearbeitung des Themas. Man bleibt doch etwas außen vor als Leser. Ginny reflektiert nicht so ganz genau warum sie sich als "Jungsmädchen" betrachtet. Klar, der familiäre Hintergrund, aber sie ist ja schon ein bisschen älter und wird hoffentlich verschiedene Arten von Männern und Frauen kennengelernt haben in ihrem Leben. Und ihren Freunden, die sogar mit ihr zusammenleben, fällt gar nicht auf, dass es ihr schlecht geht. Da muss erst ein Typ daherkommen, der zwar überzeugt ist, nicht liebesfähig zu sein, sich aber um sie sorgt.
 Allgemein habe ich das Gefühl, dass die Autorin in diesem Buch eher ihre persönliche Geschichte aufarbeiten, als „literarisch“ schreiben möchte. Das hat es für mich weniger interessant gemacht. Beispielsweise gibt es kaum Nebenpersonen und die sind nicht besonders gut ausgearbeitet. Die Mitbewohner etwas, die wichtige Nebenrollen spielen, haben so ungefähr eine bestimmende Eigenschaft und sonst sind sie schwer zu unterscheiden. Ginny hat auch sonst keine Freunde oder Freundinnen oder Kontakt mit ArbeitskollegInnen.
Die ständige Nennung von Markennamen finde ich persönlich nicht so ansprechend. Auf Deutsch klingen Passagen wie „Ihr Mund schmeckte noch nach Corona“ eher seltsam. Da hätte ich als Übersetzer den Markennamen dann doch einfach durch „Bier“ ersetzt. Etwas merkwürdig fand ich persönlich auch, wie kaltschnäuzig Bulimie beschrieben wird. Es geht recht lange darum wie einfach Erbrechen ist und welche Methoden man nutzen kann, um diese Gewohnheit zu verbergen. Ginny sitzt beispielsweise neben ihren Mitbewohnern auf dem Sofa und erbricht sich nebenher unbemerkt in eine Tasse. Das fällt echt niemandem auf? Riecht man das Erbrochene denn nicht?
Nun ja, ich habe allerdings auch keine Erfahrung in dem Bereich, die Autorin aber schon, also lasse ich das mal so stehen.
Also zusammenfasst interessant, besonders wenn man sich für Magersucht/Bulimie interessiert, vom Schreibstil und der Figurenentwicklung her aber definitiv noch ausbaufähig.