Gym

Ein schonungsloser Blick auf den Körperwahn

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
annie_hall Avatar

Von

Eine Frau Mitte 30 bewirbt sich als Tresenkraft im Mega-Gym. Da sie äußerlich nicht den Erwartungen entspricht und zudem recht unsportlich ist, greift sie zu einer Notlüge: Sie erklärt ihre Unzulänglichkeiten damit, gerade entbunden zu haben.

„Gym” ist eine eindringliche Geschichte über Selbstoptimierung und Leistungsdruck. Im Zentrum der Handlung steht eine namenlose Ich-Erzählerin, die aufgrund einer Notlüge und ihrer eigenen Ambitionen zunehmend unter Druck gerät. Kessler schildert präzise und von Sinneseindrücken durchzogen den Alltag im Fitnessstudio. Diese Detailfülle verwandelt das Mega Gym in eine Hochglanzbühne, auf der Selbstdarstellung, Leistungsdenken und Schönheitswahn den Ton angeben. Die Protagonistin reflektiert in einer Mischung aus lakonischem Witz und nüchterner Genauigkeit. Anfangs noch unsicher, gewöhnt sie sich schnell ein und beginnt selbst zu trainieren. Angetrieben vom Wunsch, dazuzugehören, wird das Training schnell zur Obsession. Sie geht an ihre Grenzen, versucht krampfhaft, ihre Lüge aufrechtzuerhalten, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden und verliert sich zunehmend im Selbstoptimierungswahn.

„Gym” ist ein psychologisches Kammerspiel, dessen dramaturgische Dreiteilung für Spannung sorgt. Auf die Phase der Eingewöhnung folgt eine Phase der wachsenden Identifikation, an deren Ende die Protagonistin Gefahr läuft, sich in einem Strudel aus Anpassung, Leistungsdruck und Selbstoptimierung zu verlieren.

Gegen Ende hin verschärft sich das Geschehen jedoch so drastisch, dass die Erzählung an Glaubwürdigkeit verliert. Auch manche Nebenfigur wirkt eher skizziert als lebendig.

Dennoch ist „Gym” ein kraftvoller, kluger und mitunter verstörender Roman, der die Schattenseiten von Körperkult und Selbstoptimierung aufzeigt. Provokant, unterhaltsam und lesenswert.