Gym

Ein wilder Ritt

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dierotefuchsin Avatar

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In Verena Keßlers Roman Gym begleitet man eine Protagonistin, deren Namen man nie erfährt. Was man stattdessen aus nächster Nähe kennenlernt, ist ein Kopf und zwar einer, der in einer Welt voller „Höher, Schneller, Weiter“ gefangen zu sein scheint. Die Geschichte taucht tief ein in eine obsessive Innenwelt, die von Selbstoptimierung, Körperkult und Leistungsdruck geprägt ist.
Aufgrund des Klappentextes hatte ich einen zynischen,vielleicht sogar leichtfüßigen und humorvollen Text erwartet, eine bissige Abrechnung mit der Fitness-Gym-Welt und deren Idealvorstellungen. Und ja, an vielen, vielen Stellen blitzt das durchaus auf. Aber wer sich auf leichte Unterhaltung mit ein bisschen erhobenem Zeigefinger einstellt, wird überrascht. Gym ist kein ironischer Seitenhieb, es ist vielmehr ein klug komponiertes Psychogramm. Das MEGA Gym nur eine Bühne für die Show der heutigen Leistungsgesellschaft.
Sympathisch war mir die Protagonistin nicht. Und trotzdem hat mich der klare, strukturierte, fast kalte Stil hineingezogen, mitten hinein in ihre Gedankenwelt. Ein Ort, den ich leider in Teilen nur zu gut kenne. Auch ich war mal Teil der Fitness-Bubble, auch ich hatte Angst um mein Aussehen, um mein Wirken, um meine vermeintliche Stärke und die Angst vor dem Verlust selibger. Es war nie so extrem wie hier, aber nah genug, um zu verstehen, wie sich diese Perspektive anfühlt.
Ich will gar nicht zu viel verraten, weil ich finde, dass gerade die Unvorhersehbarkeit ein großer Reiz des Buches ist und auch viele kritische Gedanken spoilern würden.
Am Ende blieb ich jedenfalls mit einem Gefühl zurück, das sich am ehesten so beschreiben lässt: Was zur Hölle habe ich da gerade gelesen? Das war ein wilder Ritt.

Warum „nur“ drei Sterne? Es ist ein Gefühl. Das Buch ist gut, keine Frage, aber es hat mich nicht so sehr gepackt wie andere. Die Hauptfigur bleibt sperrig, die Erwartungshaltung (bedingt durch den Klappentext) wurde für mich nicht erfüllt oder besser gesagt: auf eine Weise gebrochen, die mich in Teilen eher irritiert als begeistert hat.
Und trotzdem: Gym ist auf seine Art beeindruckend. Nur eben nicht bequem.