Gym

Faszinierend und abschreckend zugleich

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
leseclau Avatar

Von

Verena Keßler taucht tief ein in die menschliche Seele. Dabei fängt alles ganz harmlos an. Die namenlose Protagonistin fängt im Service eines Fitnessstudios an, in dem die Welt in Ordnung ist: netter Chef, gute Arbeitsbedingungen, freundliche Kolleginnen. Und lauter durchtrainierte Menschen, nur sie hat sich etwas gehen lassen in der letzten Zeit. Und so greift sie zur Notlüge, gerade entbunden zu haben. Sie sonnt sich in der Bewunderung der Menschen, die sich fragen, wie sie das alles wuppt: Kind, Vollzeit, Haushalt, Training. Und anstatt diese Lüge aufzulösen, verheddert sie sich immer mehr in ihrer Scheinwelt, definiert Muskelwachstum als einzig zählendes Ziel, koste es, was es wolle. Und es kostet!

Das Buch entwickelt einen unglaublichen Sog. Am Anfang las ich interessiert und fragte mich, wohin das Ganze wohl führt. Dann verfolgte ich den Weg der Unbekannten mit Faszination, las, wie sich ihre Obsession entwickelt. Je tiefer ich in die Figur eintauchte, desto fremder wurde sie mir. Zwischendurch haben die Beschreibungen bei mir direkt ein Ekelgefühl hervorgerufen. Und doch wollte ich verstehen, was diese Frau antreibt.

Geschickt lässt Verena Keßler immer tiefere Einblicke in die Vergangenheit der Protagonistin zu. Dadurch rundet sich das Bild einer vom Erfolg besessenen Frau ab, der die externe Sicht auf sich selbst unfassbar wichtig ist. Die sich immer wieder jemanden sucht, an dem sie sich reiben, spiegeln, messen kann.
Der Schreibstil ist sehr direkt. Am Ende der einzelnen Kapitel blitzt immer mal wieder ein ganz feiner Humor durch. Einzelne Sätze durchbrechen so die zum Teil abstoßende Geschichte.

Ich mochte das Buch, wenngleich ich mir das Ende ein ganz klein wenig weniger offen gewünscht hätte.