Gym

Namenlose Obsessionen

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Die namenlose Ich-Erzählerin muss raus aus ihrem alten Leben. Etwas ist vorgefallen. Und das Mega-Gym, betrieben von Ferhat, ist genau richtig für einen Neuanfang - völlig außerhalb der Reichweite aller alter Bekannter. Als sie sich mit einer Lüge den Job ergattert hat, begibt die Erzählerin sich auf einen obsessiven Weg der Körperkontrolle, der ungeahnte Ausmaße annimmt.

"Gym" ist unverhohlen als Gesellschaftskritik angelegt - schon auf den ersten Seiten fällt der Satz "Ich bin schließlich Feminist", als Ferhat die Erzählerin einstellt, weil sie angeblich gerade erst entbunden hat. Das soll ihren körperlich eher nicht gym-würdigen Zustand erklären. Geschenkt, denkt die sich, und startet kurzerhand hinter der Theke als Servicekraft. Schnell deckt sie die Dynamiken des Gym auf, erkennt Gruppen, durchleuchtet diese Welt.

Dass irgendwas nicht stimmt mit dieser Frau, die uns hier mit Sicherheit sehr unzuverlässig ihre Version der Geschichte schildert, wird in den Rückblenden auf ihr altes Leben klar. Etwas Heftiges, etwas Brutales muss vorgefallen sein. Und ihre Entwicklung im Gym lässt erahnen, dass es nicht unbedingt zu einer Läuterung gekommen ist. Wir sehen eine Frau vor uns, die getrieben ist von brutalem Ehrgeiz, absurder Vergleichswut und dem unbedingten Willen, alles zu erreichen, was sie sich vornimmt. Dadurch hat der Roman dann öfter auch mal Body-Horror-Elemente, die an Filme wie "The Substance",
"Sick of Myself" und insbesondere "Love Lies Bleeding" erinnern. Das ist ziemlich unterhaltsam, führt unsere Erzählerin aber nicht unbedingt zu einem guten Lebenswandel. Alle Menschen, die im Roman eine größere Rolle spielen, bieten ihr irgendetwas Menschliches an - romantisches Interesse, Freundschaft, Bewunderung, Rat. Nichts davon will sie, auf keine dieser Personen lässt sie sich auch nur ansatzweise ein. Sie ist allein, und das "by choice", immer in Kampfhaltung mit ihrer Umwelt. Das zieht sie durch bis zum bitteren Ende - dessen Offenheit einige Fragen bei mir hinterlassen hat.

Der Roman hat großen Unterhaltungswert, er fängt die Perspektive einer Frau ein, die sich den radikalen Konkurrenzkampf unserer kapitalistischen Maschinerie quasi selbst eingeimpft hat. Jede Chance auf Heilung schlägt sie in den Wind, stattdessen sucht sie überall nach einem neuen Ventil für diese Getriebenheit. Dabei schreckt sie vor Brutalität gegenüber anderen und gegen sich selbst nicht zurück. Das ist keine nette Story, keine Protagonistin, mit der man sich identifizieren kann oder möchte, aber eine wahnsinnig gut gemachte Abweichlerin, vor der man sich ein wenig gruseln kann. Und sich immer auch ein bisschen fragen muss, wieviel Konkurrenzmonster in jeder von uns wohl eigentlich steckt.