Gym

Überraschend gut !

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maya.stb_ Avatar

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Verena Kessler – Gym
Eine ungewöhnliche, fesselnde Auseinandersetzung mit Körperbildern, Lügen und Identität
In Verena Kesslers Roman Gym begleitet man eine sechsunddreißigjährige, namenlose Protagonistin, die auf der Suche nach einem neuen Job ist. Schon früh im Buch wird deutlich, dass sie ihren vorherigen Job als Journalistin nicht ganz freiwillig aufgegeben hat – die Details bleiben zunächst vage, was der Geschichte von Anfang an eine unterschwellige Spannung verleiht.
Sie bewirbt sich schließlich bei einem Fitnessstudio – dem sogenannten Mega Gym, das vom Besitzer Ferhat geleitet wird. Dieser begegnet ihr beim Vorstellungsgespräch zunächst mit Skepsis. In einem spontanen Moment behauptet sie, vor Kurzem Mutter geworden zu sein. Diese Lüge sorgt für einen überraschenden Umschwung: Ferhat stellt sie ein, scheinbar aus einem Impuls von Mitgefühl und feministischem Pflichtbewusstsein heraus.
Die Protagonistin beginnt, im Empfangsbereich des Gyms zu arbeiten. Sie beobachtet die Mitglieder, macht sich Gedanken über die Abläufe und wird gleichzeitig mit einem neuen, sehr körperfixierten Umfeld konfrontiert. Dabei wird schnell klar, wie wenig sie eigentlich in diese Welt passt – und wie sehr sie sich selbst darin verliert. Um ihre Lüge aufrechtzuerhalten, muss sie sich neue Geschichten ausdenken, neue Details erfinden – und das nicht nur gegenüber Ferhat, sondern auch gegenüber ihrem Umfeld und sich selbst.
Kessler gelingt es, mit feinem Gespür zu zeigen, wie sich ein Mensch durch eine einzige Unwahrheit in ein ganzes Netz aus Täuschungen verstricken kann. Gleichzeitig spiegelt das Setting „Fitnessstudio“ viele gesellschaftlich relevante Themen: Körperkultur, Selbstoptimierung, der Druck zur ständigen Leistungsfähigkeit und die Frage, wie sehr man sich über das Äußere definiert.
Der Schreibstil ist flüssig, mit vielen kurzen Kapiteln, die sich leicht lesen lassen. Die Distanziertheit der Figur wird stilistisch durch kurze Absätze und fragmentarische Gedanken verstärkt – ein gelungener Kniff, um ihre innere Zerrissenheit spürbar zu machen.
Auch das Cover ist ansprechend gestaltet und passt gut zum Inhalt. Besonders positiv hervorzuheben ist, dass das Thema „Gym“ – ein zentraler Ort in der Lebenswelt vieler junger Menschen – hier einmal literarisch behandelt wird.
So ein Buch ist mir zuvor noch nicht begegnet.
Es ist originell, tiefgründig und regt zum Nachdenken an – über Wahrheit, Rollenbilder, Körper und das fragile Konstrukt der eigenen Identität.
Eine klare Leseempfehlung.