Gym

Work it!

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julexju Avatar

Von

4,5 ⭐️

Ich dachte mir nach der Leseprobe schon, dass das Buch richtig gut werden würde, aber ich war dann doch überrascht, in welche Richtung es sich entwickelt hat. Besonders die erste Hälfte der Geschichte hat mich extrem begeistert und ich konnte das Buch kaum aus den Händen legen.

Ich gehe seit meiner Jugend auch immer wieder ins Gym und hab mich daher sehr doll in den Erzählungen der Protagonistin wiedergefunden. Der Optimierungszwang, den sie ab der Hälfte erlebt ist mir daher auch durchaus bekannt (wenn auch zum Glück nicht auf eine so krankhafte Art und Weise).

Die zweite Hälfte des Buches hat sich dann in eine sehr, sehr andere Richtung entwickelt als ich erwartet hätte. Ein bisschen foreshadowing gab es immer wieder, aber die Intensität der Entwicklung kam dann doch überraschend für mich.

Zwei Zitate im Buch haben mich zudem sehr emotional werden lassen:

„Nimm dich nicht so wichtig. Wie oft hatte meine Mutter das zu mir gesagt. Wenn ich mich während des Essens entschuldigte, um einen Anruf entgegenzunehmen, wenn ich sie Ostern nicht besuchte, weil ich arbeiten musste, wenn ich ihr einen neuen Jobtitel nannte, den sie nicht verstand. Wem willst du was beweisen? In deinem Alter hatte ich schon Kinder.“ (S. 91)

—> Ich habe das Gefühl, dass ich allein über diese Stelle eine ganze Abhandlung schreiben könnte über Erwartungen an Frauenrollen, über Familienbilder und das Ernstnehmen von beruflich erfolgreichen Frauen. Das Buch reflektiert auf eine sehr offene Art und Weise auch die gesellschaftliche Stellung von Müttern und wie deren Körper, Einstellungen und Verhaltensweisen ab der Mutterschaft zum Politikum werden, in das sich plötzlich jede Person ungefragt einmischen darf.

Eine andere Stelle hat mich dann auch nochmal zur Selbstreflexion angeregt:

„Ich war nie ein Teamplayer gewesen, Teams hielten einen nur auf. Die meisten Menschen waren langsam, man musste ihnen alles tausendmal erklären, sie wollten die Dinge ewig durchsprechen, jedes Für und Wider abwägen, Alternativen bedenken, und dafür hatte ich nicht die Geduld.“

—> Habe ich leider auch etwas gefühlt und mich darin etwas wiedergefunden. Auf jeden Fall ein Punkt (besonders in Hinblick der späteren Entwicklung der Protagonistin), den ich noch ein bisschen für mich selbstkritisch reflektieren sollte.

„Gym“ ist auf jeden Fall ein Buch, das mich zum Schmunzeln und zum Nachdenken angeregt hat. Der Schreibstil hat mir persönlich auch sehr gut gefallen. Ich wurde richtig in die Geschichte hineingezogen.

Allein, dass ich zu diesen 180 Seiten Buch mehr reflektieren kann als zu manchen 700 Seiten Wälzern, zeigt mir schon, dass es auf jeden Fall einiges an Diskussionspotenzial bietet.

Für die Leute, die auch ins Gym gehen: Habt ihr euch beim Lesen auch die Räumlichkeiten eures eigenen Gyms vorgestellt? 😄