Gym

Zwischen Selbstoptimierung und Selbstzerstörung

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suewid Avatar

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Ich gestehe: Es war wieder einmal das Cover, das mich sofort in den Bann gezogen hat. Die Darstellung einer Frau, die in tiefer Erschöpfung – sei es vom Sport oder vom Leben selbst – auf zwei Hockern nach vorn gelehnt sitzt, ist ebenso eindringlich wie faszinierend. Besonders spannend wirkt der Kontrast zum Titel, dessen wuchtige Lettern nicht nur entgegenwirken, sondern zugleich zu frischer Energie auffordern. Schon in diesem Zusammenspiel aus Bild und Sprache liegt eine Spannung.
Als ich dann noch sah, dass die Autorin niemand Geringeres als Verena Keßler ist, deren feministischer Roman „Eva“ bereits ausgezeichnet wurde, war mein Interesse endgültig geweckt.

Die Geschichte startet direkt mit einer Notlüge. Die namenlose Ich-Erzählerin ist dringend auf der Suche nach Arbeit und bewirbt sich im Fitnessstudio „Mega Gym“. Dort herrscht ein strenger Fitnesslifestyle, den auch die Mitarbeitenden verkörpern sollen. Kurzerhand erklärt sie ihren mangelnden Trainingszustand mit einer angeblich kürzlich erfolgten Geburt. Mit diesem raffinierten Kniff wirft der Roman seine Leserschaft ohne Umschweife in eine Welt der ständigen Körperoptimierung, des Fitnesswahns, des unbändigen Ehrgeizes und des allgegenwärtigen gesellschaftlichen Leistungsdrucks.
Die Figuren, allen voran die Hauptfigur, erscheinen als Getriebene. Über weite Strecken bleibt die Erzählerin rätselhaft, vieles wird nur angedeutet oder vage ausgesprochen. Doch bald wird deutlich, dass sie von Ambition, Neid, Obsession und Machthunger innerlich aufgezehrt ist. Gerade diese Mischung aus Geheimnis und schonungsloser Offenlegung menschlicher Antriebe verleiht dem Text seine Sogwirkung.

Ich mochte besonders, wie der Roman den Nerv der Zeit trifft und dabei eine klare, kritische Haltung einnimmt. Allen voran den Trend zur Selbstoptimierung, den ständigen Leistungsdruck und die Jagd nach Erfolg. Gerade weil diese Fragen so nah an unserem Alltag sind, hat mich das Buch sofort gepackt. Gleichzeitig ist es psychologisch sehr feinfühlig erzählt. Der Weg der Protagonistin lässt sich gut nachvollziehen, auch wenn sie keine klassische Sympathieträgerin ist. Gerade weil sie so widersprüchlich, facettenreich und bisweilen unbequem wirkt, wird sie zu einer spannenden Figur.
Interessant fand ich, das „Gym“ kein typischer feministischer Wohlfühlroman ist, in dem Frauen selbstverständlich solidarisch füreinander einstehen. Im Gegenteil, hier wird gezeigt, wie Frauen sich gegenseitig misstrauen, Neid empfinden oder sogar internalisierte Misogynie ausleben. Das war manchmal unbequem zu lesen, aber auch unglaublich scharf beobachtet.
Der Stil hat mich ebenfalls sehr angesprochen. Die Sprache ist präzise und wechselt mühelos zwischen witzigen, fast leichten Momenten und einer rauen Wildheit, die manchmal bis an den Rand des Ekels geht. Gerade diese Mischung hat das Leseerlebnis für mich so außergewöhnlich gemacht.

Ein kleiner Kritikpunkt bleibt für mich die Struktur: Die Rückblenden kamen stellenweise so abrupt, dass ich kurz überlegen musste, wo im Text ich mich gerade befinde. Das hat den Lesefluss hier und da etwas gestört.

Ein richtig schönes Extra vom Hanser Literaturverlag will ich euch nicht vorenthalten. Auf der Verlagswebsite gibt es nämlich eine Playlist zum Buch! Mit ihren treibenden Beats und dynamischen Rhythmen bringt sie beim Lesen noch mal eine ganz eigene Stimmung ins Spiel. Vielleicht passt es ja für den ein oder anderen beim Lesen oder wenn man doch mal eine Trainingseinheit im Gym gibt.

Abschließend war es ein Roman, der mich überrascht und begeistert hat.
Der Schreibstil ist schnell, mitreißend und intensiv – ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Empfehlen würde ich es allen, die Lust auf einen Gesellschaftsroman haben, der kritisch und pointiert ist, dabei aber trotzdem unterhaltsam bleibt.