Ein bisschen Hoffnung

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herr_stiller Avatar

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Zum Jahreswechsel machen wir uns ja immer ein bisschen Hoffnung. Neues Jahr, neues Glück. Die bösen Geister des alten Jahres werden weggeböllert. Und so weiter und so fort. Ist vermutlich mehr Gewohnheit als tatsächliche Hoffnung. Haben wir diese überhaupt noch? In Zeiten von Klimawandel, Rechtsruck und Kriegen? Genau dieser Frage geht Till Raether in seinem neuen Essay nach. Persönlich, ein-, aber nicht aufdringlich und durchaus auch humorvoll.

Raether startet seine Hoffnungsreise in seiner Jugend, in den 80ern. Der Kalte Krieg ist noch nicht zu Ende, die Angst vor einem Krieg in Europa, vor einer Atombombe ist präsent. Wer in der Zeit aufgewachsen ist, kennt das Gefühl. Wer später aufgewachsen wer, hatte ähnliche Ängste zu Zeiten von 9/11 und Irakkrieg oder natürlich aktuell mit Klimakrise und Ukraine-Krieg, zu denen Raether einen passenden Bogen spannt.

Aber auch private Hoffnungslosigkeit ist in seinem Essay präsent: Seine eigene Depression, schon ausführlicher in seinem Vorgänger „Bin ich schon depressiv, oder ist das noch das Leben?“ behandelt, die seiner Mutter und ihre letzten Lebensjahre im ungeliebten Hamburg, die Corona-Pandemie. Und Wege daraus. Das Schöne, das Gute, das wirklich Wichtige daran: Raether gibt hier nicht den Life-Coach, er hat kein Patentrezept, kein „So sprühst du morgen zu 100 % wieder voller Hoffnung“-101.

Er erzählt von seinen Erfahrungen, von kleinen persönlichen Schritten, die ihm geholfen haben. Zum Beispiel seinem Japanisch-Kurs. Ist nix für jeden, aber vielleicht ist es in einem anderen Fall ja Zeichnen, Wandern oder das Erlernen von Flechtfrisuren für Langhaarhunde. Schreibe ich, schreibt nicht Raether, so quatschig ist er nicht. Er wirkt eher, so gottlos er aufgewachsen und so fern er der Institution Kirche noch heute ist, eher wie ein gutmütiger Pater in einer Art Religionsunterricht für Erwachsene.

Nicht belehrend, aber Anstöße gebend, Mut machend, dass man zwar vielleicht alleine in einem Boot ist, aber ganz viele Boote um einen rum sind, in denen Menschen mit gleicher Gefühlslage sitzen. Und das funktioniert bei mir persönlich beispielsweise besser als in Daniel Schreibers „Die Zeit der Verluste“, ein Buch über Trauer. Schreiber verliert sich für meinen Geschmack zu sehr in Venedig, so dass die wirklich guten, wichtigen Passagen seines Essays untergehen, so wie vermutlich eines Tages die italienische Hafenstadt.

Der Hamburger Raether bleibt bei seiner Sache, verliert sich und vor allem mich nicht und schafft es, dass ich das Buch in einem Rutsch durchlese, obwohl ich es auch schön häppchenweise hätte machen können – ein bisschen Hoffnung morgens, mittags, abends über vier Tage verteilt. Gutes Rezept eigentlich, nicht mal verschreibungspflichtig.

Und das Fazit? Lässt sich am besten so zusammenfassen: Es ist nicht schlimm, keine Hoffnung zu haben. Solange man noch Lust hat, wieder welche zu bekommen.