Unsichtbare Ausbeutung in der 24-Stunden-Pflege
In "Halbe Leben" von Susanne Gregor lernen wir zwei gleichaltrige Frauen und ihre Lebenssituationen, die miteinander verflochten sind.
Klara liebt ihre Karriere in ihrem Architekturbüro, am wichtigsten ist ihr ihre berufliche Verwirklichung. In der Mutterrolle ist sie nie so wirklich angekommen, Haushalt und Kinderbetreuung erfüllt sie nicht und sie arbeitet auch in einem Bereich, in dem von ihr Überstunden erwartet werden, wenn sie beruflich weiterkommen möchte. Sie ist verheiratet mit einem beruflich mäßig erfolgreichen Mann - dadurch bringt hauptsächlich sie das Familieneinkommen nach Hause - und die beiden haben eine etwa 11-jährige Tochter, Ada. Diese wurde hauptsächlich von Klaras Mutter Irene großgezogen, doch jetzt kann Irene nicht mehr so wie früher, sie hat einen Schlaganfall hinter sich, erlebt immer wieder kurze Perioden der Verwirrtheit und Desorientierung und wird selbst pflegebedürftig. Die Lösung dafür, wie in so vielen österreichischen Familien heutzutage: 24-Stunden-Pflege. Über eine Agentur werden Pflegekräfte beauftragt, verschiedene ausprobiert und gewechselt, bis die Familie schließlich jeweils im zweiwöchentlichen Turnus von Paulína und Radek unterstützt wird.
Paulína ist wie Klara 38 Jahre alt, sie wohnt in der Slowakei und zieht dort ihre beiden Söhne, 16 und 11 Jahre alt, alleine groß, nachdem sie von ihrem Mann für eine andere verlassen wurde. Das Leben ist schwer, Paulína rackert sich im Krankenhaus ab und kommt doch kaum über die Runden. Eine Vermittlung nach Österreich als Pflegekraft in einem Privathaushalt verspricht deutlich besseres Einkommen, und so lässt sich Paulína darauf ein, und die beiden Kinder in dieser Zeit schweren Herzens bei ihrer Schwiegermutter.
Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf, das schließlich mit Klaras tödlichem Absturz bei der gemeinsamen Wanderung enden wird. Paulína ist eine extrem engagierte Pflegekraft und macht anfangs weit mehr, als von ihr gefordert wird, sie kocht für die ganze Familie, putzt, erledigt Fahrdienste mit dem Auto, hilft bei Abendevents aus und vieles mehr. Während Paulína diese Dienste anfangs von selbst anbietet, wird durch die Familie immer mehr von ihr gefordert, sogar neu ein Hund angeschafft, um den ebenfalls Paulína sich kümmern muss - und Paulína kann nicht gut "nein" sagen, einerseits aufgrund ihrer abhängigen Position, die sie nicht verlieren, will, andererseits sicher auch aufgrund ihrer Persönlichkeit. So wird Paulína immer mehr dazu gebracht, über ihre eigenen Grenzen zu gehen, länger zu bleiben und ihre eigenen Kinder zu vernachlässigen, sogar in Krisensituationen, und wird immer unzufriedener damit, was aber in der Dienstgeberfamilie lange niemand sehen will.
Das Buch ist spannend und dicht geschrieben, wir haben kommen Paulína und den verschiedenen Personen aus der Familie, bei der sie arbeitet, psychologisch sehr nahe. Dabei ist die Problematik der 24-Stunden-Pflege und der Ausbeutung, die oft damit einhergeht und von den ausbeutenden Personen gar nicht als solche gesehen werden will ("immerhin wird sie ja für die Extradienste großzügig entlohnt", so sieht das die Familie) authentisch und lebensnah geschildert - solche und ähnliche Situationen in der 24-Stunden-Pflege kenne ich auch aus meinem Bekanntenkreis hier in Österreich.
Es macht nachdenklich über ungleiche Machtverhältnisse zwischen Ländern und in Privathaushalten, über Ausbeutung und über den Preis, den man selbst und andere zahlen muss, der oft mit der so gerne gepriesenen Vereinbarkeit von Beruf und Familie einhergeht, noch einmal mehr, wenn dann noch eine Pflegesituation dazukommt. Ein kluges und wichtiges Buch, das ich sehr empfehlen kann!
Klara liebt ihre Karriere in ihrem Architekturbüro, am wichtigsten ist ihr ihre berufliche Verwirklichung. In der Mutterrolle ist sie nie so wirklich angekommen, Haushalt und Kinderbetreuung erfüllt sie nicht und sie arbeitet auch in einem Bereich, in dem von ihr Überstunden erwartet werden, wenn sie beruflich weiterkommen möchte. Sie ist verheiratet mit einem beruflich mäßig erfolgreichen Mann - dadurch bringt hauptsächlich sie das Familieneinkommen nach Hause - und die beiden haben eine etwa 11-jährige Tochter, Ada. Diese wurde hauptsächlich von Klaras Mutter Irene großgezogen, doch jetzt kann Irene nicht mehr so wie früher, sie hat einen Schlaganfall hinter sich, erlebt immer wieder kurze Perioden der Verwirrtheit und Desorientierung und wird selbst pflegebedürftig. Die Lösung dafür, wie in so vielen österreichischen Familien heutzutage: 24-Stunden-Pflege. Über eine Agentur werden Pflegekräfte beauftragt, verschiedene ausprobiert und gewechselt, bis die Familie schließlich jeweils im zweiwöchentlichen Turnus von Paulína und Radek unterstützt wird.
Paulína ist wie Klara 38 Jahre alt, sie wohnt in der Slowakei und zieht dort ihre beiden Söhne, 16 und 11 Jahre alt, alleine groß, nachdem sie von ihrem Mann für eine andere verlassen wurde. Das Leben ist schwer, Paulína rackert sich im Krankenhaus ab und kommt doch kaum über die Runden. Eine Vermittlung nach Österreich als Pflegekraft in einem Privathaushalt verspricht deutlich besseres Einkommen, und so lässt sich Paulína darauf ein, und die beiden Kinder in dieser Zeit schweren Herzens bei ihrer Schwiegermutter.
Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf, das schließlich mit Klaras tödlichem Absturz bei der gemeinsamen Wanderung enden wird. Paulína ist eine extrem engagierte Pflegekraft und macht anfangs weit mehr, als von ihr gefordert wird, sie kocht für die ganze Familie, putzt, erledigt Fahrdienste mit dem Auto, hilft bei Abendevents aus und vieles mehr. Während Paulína diese Dienste anfangs von selbst anbietet, wird durch die Familie immer mehr von ihr gefordert, sogar neu ein Hund angeschafft, um den ebenfalls Paulína sich kümmern muss - und Paulína kann nicht gut "nein" sagen, einerseits aufgrund ihrer abhängigen Position, die sie nicht verlieren, will, andererseits sicher auch aufgrund ihrer Persönlichkeit. So wird Paulína immer mehr dazu gebracht, über ihre eigenen Grenzen zu gehen, länger zu bleiben und ihre eigenen Kinder zu vernachlässigen, sogar in Krisensituationen, und wird immer unzufriedener damit, was aber in der Dienstgeberfamilie lange niemand sehen will.
Das Buch ist spannend und dicht geschrieben, wir haben kommen Paulína und den verschiedenen Personen aus der Familie, bei der sie arbeitet, psychologisch sehr nahe. Dabei ist die Problematik der 24-Stunden-Pflege und der Ausbeutung, die oft damit einhergeht und von den ausbeutenden Personen gar nicht als solche gesehen werden will ("immerhin wird sie ja für die Extradienste großzügig entlohnt", so sieht das die Familie) authentisch und lebensnah geschildert - solche und ähnliche Situationen in der 24-Stunden-Pflege kenne ich auch aus meinem Bekanntenkreis hier in Österreich.
Es macht nachdenklich über ungleiche Machtverhältnisse zwischen Ländern und in Privathaushalten, über Ausbeutung und über den Preis, den man selbst und andere zahlen muss, der oft mit der so gerne gepriesenen Vereinbarkeit von Beruf und Familie einhergeht, noch einmal mehr, wenn dann noch eine Pflegesituation dazukommt. Ein kluges und wichtiges Buch, das ich sehr empfehlen kann!