Wenn einen die Reiselust völlig ergreift

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elke seifried Avatar

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Ich interessiere mich sehr für fremde Länder, besonders auch für die Mentalität der Menschen, die dort leben und da coronabedingt Reisen im Moment noch mehr im Kopf geschieht, hat mich dieses Buch natürlich sofort gelockt. Auch wenn ich kein Mensch bin, der sich so aus dem Leben ausklinkt und derart auf Tour geht, hatte ich gute Unterhaltung.

„Von Österreich aus wollen wir über Slowenien und die kroatische Küste– weil Mathias das Mittelmeer liebt– nach Bosnien fahren, […] bevor wir über Montenegro und Serbien nach Rumänien fahren wollen. Ein Land, in dem noch keiner von uns war, von dem wir aber nur Gutes gehört haben. Von dort soll es nordwärts gehen, durch die Ukraine und Polen ins Baltikum, wo wir die Fähre nach Helsinki nehmen und immer weiter in den Norden fahren wollen. Unser vorläufiges Ziel ist das Nordkap, das Ende der Welt. Der weitere Plan sieht vor, den Winter in Skandinavien zu bleiben und dabei langsam die norwegische Küste entlang zu fahren. Nordlichter zu sehen ist schon immer ein Traum von mir und Mathias wünscht sich, einmal eine Skitour zu gehen, deren Abfahrt erst am Strand, auf Meereshöhe endet.“, genau das ist der Plan, den Sarah Knigge und der Österreicher Mathias erst wenige Wochen nach ihrem Kennenlernen bei einem Urlaub Sarahs, bei dem sie ihn fassen, in die Tat umsetzten, denn obwohl sie sich noch kaum kennen gilt, „Sch…. di ned oa! Donn lernen wir uns e gut kennen– donn wissma, ob’s basst.“ Und genau an dieser Vanlife Erfahrung lässt die Autorin ihre Leser hier teilhaben.

In kurzen Kapiteln, die allesamt mit einem doppelseitigen Bild, oft auch einigen Zitaten vom ihrem Reisepartner oder auch von Bekannten und Freunden und einer witzigen Überschrift beginnen, was allessamt schon Vorfreude auf das, was einen erwartet macht, erzählt sie chronologisch zum Reiseverlauf, den man in einer vorangestellten Karte findet, kleine Episoden, die von Erfahrungen auf ihrer Reise berichten. Klar, auch wenn man zwischendurch bei Begegnungen z.B. die bulgarische Gastfreundschaft erleben, man mal mit in eine finnische Sauna, auch einsam mit im Schneewind am Nordkap stehen darf oder von Bären Warn Apps in Rumänien erfährt, geht es dabei weniger darum, eine Liste an Sehenswürdigkeiten abzuarbeiten, den Leser an den Besonderheiten des Landes im Allgemeinen teilhaben zu lassen, sondern eher um ihre konkreten Empfindungen und Erlebnisse als Vanlifer. Das fängt bei der Reiseplanung bzw. dem Ausbau des Transporters an, führt über Erlebnisse mit Menschen, die ihnen auf ihrer Reise begegnen, oft auch anderen Vanlifern oder Reisenden, die nicht für die Mentalität der Menschen des Landes stehen, oder die eine oder andere Panne und Enttäuschungen bis hin zu den unbeschreiblich schönen Momenten, die man wohl nur bei dieser Art zu reisen erleben kann.

Über Airbnb bei Mathias eingemietet, sich verliebt und dann kurzentschlossen zu solch einer Reise aufbrechen. Hut ab vor dem Mut, den ich sicher nicht hätte. Ganz oft habe ich mir gedacht, das hätte ich wohl nicht so durchgestanden, Nächte im Auto bei -21°, keine „richtige“ Toilette, wenn man muss, sind nur zwei Beispiele dafür. Ich kann mir im Moment auf gar keinen Fall vorstellen, als Vanlifer auf Tour zu gehen und habe eher zum Buch gegriffen, weil ich dachte, dass ich hier per Kopfkino eine Reise unternehmen kann. Ja, ich will z.B. auch unbedingt selbst noch irgendwann Nordlichter sehen und ans Nordkap reisen, warum also nicht bis das in die Tat umgesetzt wird, schon einmal lesend hinreisen.

Mit einem vergnüglichen Stil von den ersten Pannen begonnen, Mit„Situation“ meine ich die Tatsache, dass ich bei meiner schwungvollen Einfahrt auf dieses österreichische Supermarkt-Parkdeck vergessen habe, dass sich mein Fahrrad auf dem Autodach befindet. Es handelt sich um einen dieser Dachgepäckträger, in die das Fahrrad aufrecht stehend eingespannt wird, wodurch das Auto knapp einen Meter an Höhe gewinnt“, habe ich mich sofort gut unterhalten gefühlt, denn der kurzweilige, plaudernde und anschauliche Schreibstil der Autorin liest sich sehr locker und flüssig. Es ist ihr erstes Buch, dennoch merkt man deutlich, dass sie sich ausdrücken kann, hier hilft ihr sicher auch ihre Erfahrung als Pressereferentin. Kam dann nach einigen Kapiteln ein wenig Ernüchterung darüber auf, dass es hier weniger um Land und Leute, zumindest nicht in dem Maße, wie ich es mir erhofft habe, geht, fand ich es, mich einmal damit abgefunden, jedoch sehr interessant zu erfahren, wie ich mir ein solches Leben vorstellen kann. Gut hat mir dabei gefallen, dass die Autorin dabei auch keine Tabus auslässt, „Wir müssen übers Ka…. reden!“ Au weia. Nicht gerade mein Lieblingstopic, schon gar nicht mit dem neuen Freund und in einer Phase der Beziehung, in der man jegliche Form von Körpergeruch und -ausscheidungen noch ignoriert und sich am liebsten als elfengleiches Sakralwesen präsentieren würde, das nicht schwitzt, nicht auf die Toilette muss und dessen Atem morgens nach Blumenbouquet riecht.“, oder alles schönfärbt, sondern Probleme klar anspricht, sodass man wirklich eine realistische Vorstellung bekommen kann. Immer wieder konnte ich herzhaft schmunzeln, wofür oft Mathias mit seiner rustikalen Art und seinem österreichischen Dialekt gesorgt hat, von dem man einige Kostproben, ab und an auch samt Erklärung, bekommt. „Du kannst ja zu Fuß gehen, wennd wüst!“, Außerdem kenne ich Mathias bereits gut genug, um zu spüren, dass er verstimmt ist.„Ozipft“, nennen die Österreicher diesen Zustand, der irgendwo zwischen grummelig und angesäuert rangiert.„Vergnatzt“, würde man in Berlin sagen,„angepisst“ in der gymnasialen Oberstufe und Sissi würde ihn wahrscheinlich als„echauffiert“ bezeichnen. Semantisch unterscheidet sich„ozipft“ von„grantig“, denn Ersteres bezeichnet eher einen stillen Gemütszustand, wohingegen der Grant gern nach außen getragen wird, weshalb er auch leichter zu erkennen ist.“, ist nur ein Beispiel dafür. Auch emotional konnte mich die Autorin immer wieder bewegen, so habe ich z.B. oft mit den beiden Reisenden gelitten, z.B. wenn Mathias irre Bauchschmerzen hat, sie durch den Schneesturm stapfen müssen oder als sie zwei Welpen von der Straße retten, da war ich zudem irre gespannt, was aus den beiden Wollknäuln werden wird. Auch wenn ich nicht immer jedes Verhalten nachvollziehen konnte, „Und bin ich wirklich so egoistisch, dass ich noch nicht einmal in einem Moment, in dem ich Mathias so offensichtlich leiden sehe, nachgeben und sagen kann: Gut, dann fahren wir nach Hause, deine Gesundheit geht vor?“, meiner Meinung nach schon, aber ich stecke ja auch nicht real in der Situation, habe ich insgesamt eine gute, anschauliche und lebendige Vorstellung davon bekommen, was Menschen, die eine solche Herausforderung leben, dazu bewegt. Auch wenn ich dieses Buch sicher nicht gelesen habe, um mir Tipps, wie man z.B. einen solchen Transporter bauen kann, um zu erfahren, was sich als nützlich erweist, was eher nicht oder einfach darauf aufmerksam gemacht zu werden, was man auf jeden Fall bedenken sollte, möchte ich noch erwähnen, dass das alle, die sich mit dem Gedanken beschäftigen, ebenfalls eine solche Reise in Angriff zu nehmen bekommen werden.

Alles in allem ein unterhaltsamer Reisebericht, der mich am Leben als Vanlifer teilhaben hat lassen und der trotz der kleinen Ernüchterung zu Beginn noch fünf Sterne bekommt.