Horror oder Märchen?

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Harz hat in Skandinavien so richtig abgeräumt! Ane Riel hat mit ihrem Roman den dänischen, norwegischen und schwedischen Krimipreis gewonnen. Als ob es nicht schon genug wäre, natürlich auch noch den Preis für den besten skandinavischen Kriminalroman.

Vorweg: Für mich ist es aber kein Kriminalroman. Auch nicht unbedingt ein (Psycho-)Thriller. Ich kann mich gar nicht recht entscheiden, wie ich es einstufen soll, da ich noch nichts Vergleichbares gelesen habe. Ich tendiere zur Bezeichnung „Familiendrama mit Horror-Elementen“. Am besten hat es Ane Riel in ihrem Buch vermutlich selbst formuliert: „Ich weiß nicht, ob ich unser Leben als Märchen oder als Horrorgeschichte bezeichnen soll. Vielleicht ein bisschen von beidem? Ich hoffe, du kannst das Märchen sehen.“ – Maria zu ihrer Tochter Liv

Den Inhalt des Buchs möchte ich nicht vorweg nehmen – die Leser werden mit vielerlei Kuriositäten der Familie Haarder konfrontiert. Tote Großmütter am Weihnachtsbaum, extreme Fettleibigkeit, Messi-Verhalten, ein Kind, dass in einem Baucontainer wohnt, Einbalsamierungen und viele weitere ungewöhnliche Umstände.

Zunächst beginnt das Buch in der Gegenwart mit der Erzählung von Liv. Danach erfährt man in einer Rückblende etwas über die Kindheit und Jugend ihres Vaters. Es wird auch darauf eingegangen, wie Jens und Maria Haarder sich kennenlernten. Erst danach kehrt die Geschichte zurück zu Liv. Später im Buch kommen dann noch Eindrücke von Jens selbst und vom Gastwirt des Dorfes hinzu. Der Gastwirt macht merkwürdige Feststellungen in seinem Lokal, die mit der Familie Haarder in Verbindung stehen. Davon ahnt er jedoch nichts.

Liv ist für mich die tragende Figur in diesem Psychogramm einer nicht ganz normalen Familie – nett ausgedrückt. Einer Familie, in der Liebe zu Obsession wird. Eine Familie, in der die Grenzen von Eigenarten überschritten werden und in psychischen Erkrankungen enden. Eine Familie, die sich vielleicht hätte selber retten können, retten müssen. Liv zu Liebe! Liv ist für ihr Alter unheimlich intelligent, manchmal altklug, in anderen Momenten aber wieder ganz naiv und träumerisch. Ich fand diese Mischung durchaus glaubhaft dargestellt aufgrund der Umstände unter denen sie aufgewachsen ist und der Erziehung, die sie erlebte. Besonders gefiel mir ein Ausspruch von Liv zu Beginn: „Eigentlich habe ich nie darüber nachgedacht, was ich bin. Ich glaube, ich bin das, was sie sehen. Und ab und zu sehe ich etwas, das sie nicht sehen.“ Aber Liv ist nicht die Hauptfigur in „Harz“. Ihr Vater Jens ist das Bindeglied in dieser unheimlichen Geschichte. Das hätte ich aufgrund des Klappentextes nicht vermutet und hat die Geschichte daher auch in einen ganz andere Richtung getrieben, als ich erwartet hätte. Jens ist absolut empathisch, sensibel und tief im Innern – so bin ich überzeugt – ein wirklich guter Mensch. Aber Jens kann nicht loslassen, keine Dinge, keinen Müll und erst recht nicht seine Familie! Egal, ob tot oder lebendig. Jens hat sich nicht helfen lassen und konnte sich auch nicht selbst helfen. Und so nimmt das Schicksal der Familie seinen Lauf.

Wer jetzt immer noch nicht überzeugt ist, dem habe ich die aussagekräftigsten Beschreibungen aus vielen Rezensionen zusammengetragen:
Bewegend und verstörend, eindringlich, anders, schwer zu ertragen, beklemmend, überraschend und bizarr, erschütternd und krank, Gänsehaut, verstörend, berührend, fesselnd und faszinierend, makaber, großartig und spannend, erzählerische Wucht, zart und brutal, schockierend!

Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung und volle Punktzahl – mit Bonussternchen!