Liebe kann auch grausam sein.

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Ein ausgezeichneter Skandinavienkrimi, der von vielen Seiten gelobt wird, ist Ane Riels Thriller "Harz". Doch dieses Buch zeichnet sich nicht durch einen besonders aufregenden Plot oder faszinierend aufrüttelnde Tötungsdelikte aus, denn "Harz" ist da viel feiner, ruhiger und so ganz anders als erwartet. Im Grunde geht es um eine Familientragödie. Jens und sein Bruder wachsen auf dem Kopf, einer ganz kleinen Insel, die direkt an eine etwas größere angrenzt, auf. Hier lebt nur die Familie Haarder und alles könnte ganz normal sein. Ihr Vater betreibt eine Schreinerei. Holz ist seine Leidenschaft und gerade dieses Gefühl für dieses faszinierende Material möchte er auch Jens vermitteln. Als der Vater dann plötzlich aufgrund eines Blitzschlags stirbt, bricht die Familie auseinander. Während es seinen Bruder in die große Welt hinaustreibt, bleibt Jens der Schreinerei und der Insel treu, aber er kapselt sich mehr und mehr ab. Aus einer Haushaltshilfe wird seine Frau, mit der er dann etwas später ein kleines Mädchen namens Liv, bekommt. Und genau da beginnt die Tragödie, denn Liv ist tot. Zumindest meldet er dies den Behörden, um sie vor der Außenwelt geschützt aufwachsen zu sehen. Abgeschirmt, auf dem Gehöft, zwischen alten Puppen, Krempel und konservierten Tieren. Ein Leben in der Falle, deren Schlinge sich nach und nach weiter zuzieht.

"Ich weiß nicht, ob es richtig von uns war, dich tot zu melden. Aber wir hatten solche Angst, wir hatten solche Angst, dich zu verlieren. Es war eine schreckliche Sache, die wir deiner Großmutter angetan hatten. Aber das, was sie uns antun wollte, war noch grausamer. Wir hatten keine Wahl!"

Ane Riel widmet sich mit "Harz" einer krankhaften Liebe, einer Obsession und einem sehr traurigen Leben. Es ist eine Mischung aus Erzählung und Abschiedsbriefen der Mutter, die das Bett nicht mehr verlassen kann und so ihrer Hilflosigkeit Ausdruck verleiht. Es entwickelt sich nach und nach das Bild einer sehr gestörten Familie. Man kann es eigentlich gar nicht so recht in Worte fassen, ohne den Inhalt zu verraten. Sie oder besser Jens geht über Leichen, um Liv zu schützen oder sie doch eher an sich zu binden. Und gerade das ist auch das spannende Element der ganzen Handlung. Ane Riel erzeugt dabei eine sehr beklemmende Atmosphäre, die mit der Faszination für den Rohstoff Harz angereichert wird, doch auch hier erwartet man dann einfach mehr. Zumindest habe ich mir zahlreiche in Harz eingeschlossene Leichen vorgestellt, Baumharz als Element des Todes und generell eine düstere Handlung. Doch es steht in diesem Fall stet das Material eher für die Konservierung gegen das Vergessen.
Auch der Plot lässt zu wünschen übrig. Für die knapp 300 Seiten bringt dieses Buch doch einige Längen und fragliche Geschichten mit sich. Abschließend kann man zwar sagen, dass das Ende und die ganze Aufdröselung gut durchdacht sind, doch für einen Thriller reicht es einfach nicht. Es ist ein interessanter Tragödienroman, nicht mehr und nicht weniger... und gerade das macht dieses Buch dann auch recht besonders, anders, aber nicht zu einem wirklich großen Lesehighlight.