Obsession wie im Horror-Märchen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
emmmbeee Avatar

Von

Jens Haarder ist ein liebevoller Vater, der auf übertriebene Weise sein Kind vor den Gefahren dieser Welt bewahren will. Vor allem aber will er es nicht verlieren, an was oder wen auch immer. Ein Mann mit starkem Beschützerinstinkt, der aber eben auch manisch sammelt und anhäuft. Ein paranoider Messie.

Und so wird der Radius, der Liv für ihr eigenes Leben zugestanden wird, immer eingeschränkter, bis es enger nicht mehr geht. Ihr Container hat als unmittelbare Nachbarn etliche Särge. Särge, die in früheren Jahren auch mal ausprobiert worden sind. Ein allgegenwärtiger Tod. Neben wenigen Spielsachen gehören im Harz konservierte Tiere zu Livs Zeitvertreib. Ebenso die Briefe ihrer Mutter. Tja, und da ist auch noch Carl. Wer das ist? Lesen Sie selbst, wie es zu diesen absonderlichen Lebens- und "Besitzverhältnissen" kam und wie die Vergangenheit der Familie, besonders die von Jens, zuvor ausgesehen hat.

Man kann mit fortschreitender Lektüre das Motiv zum krankhaften Tun des Vaters weitgehend verstehen. Trotzdem nagt es an der eigenen Psyche, dass man nur lesen und nicht eingreifen kann. Stellenweise ist es kaum auszuhalten, und die grösste Sympathie gilt natürlich dem Mädchen. Wobei mir scheint, dass es weniger als die Eltern unter Isolation und Angst leidet, denn der Container ist für Liv zum Alltag geworden.

Der Thriller ist unterteilt in verschieden lange Abschnitte, manchmal nur mit einem kurzen Text, aus verschiedener Sicht. Bei Liv (und natürlich in den Briefen) wurde die Ich-Form gewählt, was besonders nahegeht. Das Geschehen ist sehr plastisch und lebendig geschildert, manchmal fast schon zu intensiv. Auf mich wirkt das Buch sehr bedrückend und verfolgt mich regelrecht, nachdem ich es beiseitegelegt habe. Grimms und Hauffs Horror-Märchen sind gar nicht weit entfernt. Gleichzeitig enthält der Text, quasi Inseln zwischen all dem Schrecken, ein wohltuendes Bouquet verschiedenster Düfte. Streckenweise ist es ein Lesen "der Nase nach", ausdrucksstark und sinnlich.

Am Ende der einzelnen Abschnitte sind immer wieder raffinierte kleine Cliffhanger eingebaut. Und der Satz gleich zu Beginn ("…, als mein Vater meine Grossmutter umgebracht hat") könnte ein Klassiker für erste Sätze in der Literatur werden.

Zum Cover: Fast erwartet man klebrige Buchstaben, wenn man den harzfarbenen Titel auf dem Umschlag berührt. Harz, die Absonderung vieler Bäume (ja, auch der Lackschildlaus), welche die geschlagene Wunde wieder verschliesst und zur Heilung beiträgt. Mehr als nur doppeldeutig!