schockierend

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petral. Avatar

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Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, dieses Buch zu beschreiben. Diese Geschichte über die kleine Liv, die zusammen mit ihren Eltern völlig abgeschieden lebt und Dinge erleben muss, die kein Kind je erleben sollte, hat mich schockiert und verstört und trotzdem auch so fasziniert und in den Bann gezogen, dass ich nicht mehr aufhören konnte, zu lesen.

Einen normalen Thriller darf man hier nicht erwarten, hier gibt es keine Action und keine Jagd nach einem Serienmörder, hier wird im Grunde nur der Alltag dieser Familie geschildert, aber der hat es wirklich in sich und kann es in puncto Grausamkeit mit jedem anderen Thriller aufnehmen.
Zum Großteil wird hier aus der Sicht von Liv erzählt, dadurch bedingt in einer kindlichen, naiven Sprache. Doch gerade diese Kapitel, in denen dieses kleine Mädchen ihren Alltag beschreibt und über die schockierendsten Erlebnisse berichtet, als wären sie das Normalste der Welt, entsetzten mich am meisten. Man fühlt einfach nur grenzenloses Mitleid mit diesem unschuldigen Kind, das seine Eltern liebt und darauf vertraut, dass sie schon das Richtige tun. Dass alles, was sie ihr beibringen, auch wenn es sich tief in ihrem Inneren noch so schlimm anfühlt, einfach getan werden muss. Und dass dieses Leben, das sie führen mit alle den vielen Dingen , die ihr Vater sammelt und die nach und nach jedes Gebäude und jedes Zimmer füllen, ein normales Leben ist.

Woher sollte so ein Kind auch wissen, dass der Vater einfach nur krank ist, dass all das, was er tut, eben nicht normal ist und dass sie, ihre Mutter und ihr Vater dringend Hilfe bräuchten? Als Liv das Alter erreicht, in dem andere Kinder zur Schule gehen, bekommt Jens Haarder Panik, seine Tochter zu verlieren und er kommt auf die verrückte Idee, sie "sterben" zu lassen, also täuscht er einfach ihren Tod vor, was in dem Umfeld, in dem sie leben, auch noch erstaunlich leicht funktioniert, denn hier mischt sich keiner in die Angelegenheiten der Anderen ein, hier geht den Menschen "Privatsphäre" über alles. Und das ist das Schlimmste von allem, dass keiner mitbekommt, was sich dort im Laufe von mehreren Jahren für eine Tragödie abspielt, die sich immer weiter und weiter steigert, bis sie dann irgendwann eigentlich nur noch in einer riesengroßen Katastrophe enden kann.

Die Kapitel, in denen Liv zu Wort kommt, werden unterbrochen durch Briefe der Mutter, die längst ihre Stimme verloren hat durch den ganzen Irrsinn ihres Lebens und die zwar erkennt, dass ihre Tochter und auch sie dringend Hilfe von außen bräuchten, aber die inzwischen selbst in einer so hilflosen Verfassung ist, dass sie nichts tun kann, außer eben diese Briefe an ihre Tochter schreiben, in der Hoffnung, dass ihr geliebtes Kind diesen Wahnsinn überlebt und die Briefe der Mutter eines Tages findet.

Diese Texte, durch die Maria Haarder ihrem kleinen Mädchen schreibt, was sie ihr schon längst nicht mehr anders mitteilen kann, sind sehr spannend zu lesen., Sie offenbaren den Verlauf dieser Familientragödie von Anfang an , man erfährt so nach und nach ,was auch Jens Haarder Schlimmes erlebt hat in seiner Vergangenheit und was ihn mit der Zeit zu dem abartigen Menschen werden ließ.. Und sogar mit ihm hatte ich manchmal etwas Mitleid , weil selbst er im Grunde ja ein Opfer war. Trotzdem hoffte ich die ganze Zeit nur, dass Liv ihm irgendwann entkommt und dass ihr jemand dort raus hilft.

Selten hat mich ein Buch so gefesselt und gleichzeitig abgestoßen. Es ist einfach unfassbar, was hier alles passiert und von Ane Riel auch bis ins kleinste Detail beschrieben wird. Man schwankt beim Lesen ständig zwischen Entsetzen, Mitleid, Traurigkeit und der Angst, dass diese Geschichte gar nicht gut ausgehen kann. Und obwohl man weiß, ein echtes Happyend ist hier gar nicht möglich, hat mich der Schluss dann trotzdem nochmal zutiefst erschüttert.

Ein wahnsinnig aufwühlendes Buch, das auf jeden Fall zu einem meiner Lesehighlights in diesem Jahr gehört!