Vom Hasen lernen

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shiva2308 Avatar

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Gestaltung:
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Das Cover ist passend zum Inhalt schlicht, aber fokussiert auf das Wesentliche, nämlich den Hasen. Die Gestaltung des Buches ist traumhaft. Vor jedem Kapitel ist eine passende, liebevolle Schwarz-Weiß-Skizze von dem oder den Hasen, um die es in dem Abschnitt geht, jeweils in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Fotos wären wünschenswert gewesen, aber diese detaillierten Illustrationen sind sogar noch eindrucksvoller. Am Ende des Buches ist eine Karte von Chloes Haus und dessen Umgebung einschließlich der Fundstelle des Hasen zur besseren Orientierung beim Lesen des Geschilderten.

Inhalt:
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Zu Beginn der Pandemie, als alle im Home-Office-Lockdown verharren, zieht sich Chloe Dalton in ihr Haus am Lande außerhalb Londons zurück. Bisher war sie es gewohnt, viel durch die Welt zu reisen, immer im Stress zu sein. Die Ruhe des Landes behagt ihr nicht. Doch dann sieht sie bei einem Spaziergang einen kleinen Hasen auf dem Weg hocken, der offenbar seine Mutter verlassen hat. Nachdem sie ihn einige Stunden aus der Ferne beobachtet hat, entschließt sie sich, ihn nach Hause zu nehmen und dort großzuziehen. Dabei gibt es kaum positive Beispiele für die Aufzucht von Feldhasen und auch ein Naturschützer warnt sie. Doch sie liest sich durch alte Literatur und folgt ihrer Intuition. So wächst der Hase heran und wird zu ihrem Weggefährten.
In diesem Buch schildert sie ihre Erfahrungen, teilt ihre Beobachtungen, aber lässt uns auch teilhaben am Leid, das der Hase und andere Lebewesen in freier Natur durch das Eingreifen des Menschen erleiden müssen.

Mein Eindruck:
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"Ich konnte das Geheimnis, das Hase umgibt, bis heute nicht entschlüsseln. Im Kern ist sie für mich immer noch nicht fassbar oder erklärbar, und vielleicht liegt genau darin der Grund, warum wir Menschen so viele unserer Ängste und Wünsche auf dieses Tier projiziert haben. Warum wir Hasen übernatürliche Kräfte nachgesagt haben, die von sehr bösen bis zu durchaus angenehmen Dingen reichen, was einmal mehr unsere Neigung unterstreicht, immer jene Dinge anzubeten oder zu verteufeln, die wir nicht verstehen. Der Hase ist vielmehr ein passendes Symbol für die Vergänglichkeit des Lebens und all seines Ruhmes, für unsere Abhängigkeit von der Natur und deren achtlose Zerstörung. Doch in Hase und in der nie versiegenden Kraft zur Erneuerung – der Natur selbst – liegt auch Hoffnung. Wenn es wirklich möglich ist, wie William Blake es formulierte, in einem Sandkorn die ganze Welt zu sehen, dann gelingt es uns vielleicht, die Natur in ihrer Gesamtheit in einem Hasen zu erkennen: in seiner Einfachheit und Komplexität, seiner Zerbrechlichkeit und Stärke, seiner Vergänglichkeit und Schönheit." (E-Book, S. 188)

Mir gefiel insbesondere der Schreibstil sehr gut. In ruhigem Ton schildert die Schriftstellerin aus der Ich-Perspektive ähnlich wie in einem Tagebuch alle Ereignisse und teilt ihre Gedanken mit dem Leser. Es ist, als würde man alles aus ihrem Kopf heraus mitverfolgen. Beeindruckend fand ich ihre präzise Beobachtungsgabe, die sie in Form von sehr detaillierten Beschreibungen ausdrückt. So konnte ich mir alles gut vorstellen. Jedes Entwicklungsstadium des Hasen und später zusätzlich die seiner drei Würfe, von denen einer sogar im Haus der Autorin aufwächst, wird dokumentiert. Dazwischen befinden sich vor jedem Kapitel neben der wunderschönen Illustration auch immer ein Zitat aus einem Gedicht, einem Buch über die Hasenjagd oder anderen historischen Literaturquellen über Hasen oder die Natur.
Frau Dalton gibt dem Hasen bewusst keinen Namen, da er weiter wild aufwachsen und nicht wie ein Haustier besessen und domestiziert werden soll. Gerade weil sie dem Hasen seine Freiheit schenkt, entscheidet sich das Tier freiwillig, immer wieder ihre Nähe aufzusuchen und so ist diese eine besondere Ehre. Nur dadurch konnte sie ihre außergewöhnlichen Beobachtungen machen.
Gut gefiel mir ebenfalls, wie sie selber schildert, dass sie durch diese besondere Begegnung ruhiger wird und sich ihre Denkweise ändert. Vor allem dass sie ihren Tagesrhythmus und ihre Arbeit dem bzw. später den Hasen anpasst, war amüsant. Diese Stimmung überträgt sich entsprechend auf den Leser. Diese Lektüre war für mich wie ein beruhigender Waldspaziergang, und ich habe viel über Hasen, aber auch über andere Teile der Natur gelernt. Das Ende kam viel zu schnell, ich hätte noch ewig weiterlesen können!
Ich kann dieses Buch jedem empfehlen, um mehr über das faszinierende Wesen der Hasen zu erfahren und die Beobachtungen der Autorin in Ruhe auf sich wirken zu lassen. Es regt auf jeden Fall zum Nachdenken an über uns Menschen und unsere oft verloren gegangenen Beziehungen zur Natur.
Das Ende wird durch eine Auswahlbibliografie für weitere Recherche abgerundet.

Fazit:
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Die detaillierten Beschreibungen und Gedanken der Autorin regen zum Nachdenken über unsere Beziehung zur Natur an. Wunderbar und lehrreich!