Fehlende Spannung und eine absolut naive Protagonistin

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“Hautnah” ist nach “Angsthauch” bereits der zweite Thriller aus der Feder der Engländerin Julia Crouch. Nach eigenen Angaben arbeitet die gelernte Bühnenschriftstellerin und Regisseurin bereits an Nummer 3.

Handlung:

Laras Leben hat sich grundlegend verändert, seit sie ihre eigene Schauspielkarriere aufgab, um ihrem Mann Marcus eine treu sorgende Ehefrau und den Zwillingen Bella und Olly sowie Nesthäkchen Jack eine gute Mutter zu sein. Als Marcus immer weniger Engagements erhält, muss die Familie froh und dankbar sein, als er für einige Wochen als Schauspieler an einem kleinen Theater im Bundesstaat New York eine Anstellung findet. Von der pulsierenden Metropole weit entfernt, dafür umso ländlicher gelegen ist Trout Island nicht gerade das, was sich Lara und die Kinder unter einem Ferienort vorstellen. Nur Marcus ist in seinem Element und sonnt sich in dem neu erwachten Interesse an seiner Person. Doch dann trifft Lara auf eine Person aus ihrer Vergangenheit und alles, was sie kennt und liebt, scheint sich auf einen Schlag zu verändern.

Eigene Meinung:

Das Cover des Romans knüpft in seiner Gestaltung an den Vorgänger “Angsthauch” an. Dabei passt die dargestellte Herbstidylle so gar nicht zum Inhalt des Romans, denn 1. spielt der Roman im Sommer und 2. vermutet man hinter dem Titelbild eher einen Liebesroman anstatt einen Thriller. Mit dieser Feststellung ist aber auch schon eines der beiden großen Probleme dieses Buches erreicht: es ist kein Thriller – zumindest in den ersten 400 Seiten kommt nicht annähernd etwas auf, was man Spannung nennen könnte. Danach gewinnt die Handlung zwar an Fahrt, der Klappentext, der eine Lara verspricht, die mutig ihre Familie rettet, könnte dabei aber nicht weiter von der Realität entfernt sein.

Überhaupt ist die Protagonistin Lara ein Charakter, wie er mir fremder nicht sein könnte und das zweite große Manko des Romans. Zum einem versteht sie sich selbst als liebende Mutter, die für ihre Kinder alles aufgeben würde, zum anderen scheint sich das jedoch nur auf ihren jüngsten Sprössling Jack zu beziehen, den sie ständig umsorgt und verhätschelt. Im Gegensatz dazu bemerkt sie nicht, wie sich die Zwillinge immer häufiger und immer heftiger streiten und wie sehr ihre Tochter Bella unter der Situation und einem gewalttätigen Bruder leidet. Aber schließlich ist Lara ja zunächst auch damit beschäftigt, den Verlust ihres vierten Kindes zu verkraften – ihr Mann Marcus hatte sie zur Abtreibung gezwungen – später hat sie nichts anderes mehr im Kopf, als eine neu aufkeimende alte Liebe. Marcus ist dabei eine noch unsympathischere Figur. Seine ruhmreichen Zeiten als Theaterschauspieler sind zwar längst vergangen, dennoch hält er eisern an der Rollenverteilung in der Familie fest. Er ist der Ernährer und Versorger, Lara hat sich um die Kinder und natürlich um sein körperliches und seelisches Wohl zu kümmern.

Nach und nach tauchen im Handlungsverlauf immer wieder mysteriöse Elemente auf. Mal sind es Blumen, die wie von Geisterhand im Haus auftauchen, mal Kleidungsstücke, die aus dem Waschsalon verschwinden. Hinzu kommt die Tatsache, dass es im Haus, das der Familie über den Sommer zur Verfügung gestellt wurde, spuken soll, denn vor vielen Jahren ist dort eine Frau auf grausame Art ums Leben gekommen. Trotz all dieser Handlungselemente will die rechte Gruselstimmung über den gesamten Roman hinweg nicht aufkommen. Stattdessen begleitet der Leser Lara und ihre Familie bei zahlreichen Gartenfesten, Theatervorstellungen, Freibadbesuchen und Einkaufstouren. Einzig positiv an “Hautnah” ist dabei, dass die Autorin es trotz der schwachen Handlung und unsympathischen Charaktere gelingt, den Leser bei der Stange zu halten. Interessant wird es überhaupt erst, als Stephen auf den Plan tritt, seines Zeichens ein überaus bekannter und natürlich reicher Schauspieler, der einst Marcus Freund und Laras große Liebe war. An diesem Punkt möchte man nun zum ersten Mal wirklich wissen, wie es mit den Figuren weitergeht.

Die Auflösung des Plots überrascht nur wenig, denn sie hatte sich über den gesamten Roman hinweg angedeutet. Das wäre ja auch nicht weiter schlimm, wenn nicht die übrigen Handlungsstränge allesamt ein unbefriedigendes, ja sogar absolut realitätsfernes Ende nehmen würden. Mit ihren Taten am Schluss des Buches setzt die naive Lara dem Ganzen noch einmal die Krone auf. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber für mich war dieses Verhalten wirklich völlig unverständlich. Leid tut mir dabei vor allem Bella, die mit einem unmöglichen Bruder und einer Mutter gestraft ist, die ihre Augen wohl bewusst vor den Problemen ihrer Tochter verschließen will oder einfach zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist.

Fazit: Ein Thriller, der mindestens 400 Seiten lang keiner ist und den Leser mit einer grauenhaft naiven Protagonistin quält