Ein interessanter Reihenauftakt mit kleinen Schwächen

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waylandliest Avatar

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Zera als Charakter gefällt mir insgesamt sehr gut. Sie ist nicht auf den Kopf gefallen, selbstironisch, frech und schlagfertig. Auch wenn ich etwas überrascht war, wie menschlich und gefühlvoll sie ist. Aufgrund des Klappentextes und meiner Interpretation hätte ich tatsächlich etwas „herzlosere“ Protagonisten erwartet. Aber sie sind von Hoffnung getrieben, weinen und können lieben. Zera z. B. liebt und vermisst auch nach drei Jahren ohne Herz noch ihre Familie. Liebt die anderen beiden Herzlosen, die wahrscheinlich wie Geschwister für sie sind, und empfindet meiner Meinung nach sogar für Nightsinger so etwas wie Liebe; auch wenn sie ja genaugenommen ihre Sklavenführerin ist.

Lady Yshennria hingegen ließ sich für mich wahnsinnig schwer einschätzen. Sie hat eine sehr schwere Vergangenheit, denn im Krieg wurde Ihre gesamte Familie von Hexen ausgelöscht. Daher konnte ich nicht begreifen, warum sie den Hexen hilft. Sie verabscheut die Herzlosen eigentlich, was sie Zera auch immer wieder spüren lässt. Ihre Begründung, dass nicht noch mehr Menschen leiden müssen, fand ich zwar auf der einen Seite einleuchtend, aber auch etwas schwach. Hier hätte ich mir etwas mehr Tiefgang erwartet.
Die Gesellschaft und die Königsfamilie sind sehr engstirnig und unnachgiebig was den Glauben an den neuen Gott und Hexen angeht. Der Hass auf Hexen ist immer wieder erschreckend und unvorstellbar für mich. Insbesondere da im Mittelalter wirklich so viele angebliche Hexen verfolgt, gefoltert und auf bestialische Weise getötet wurden. Hier sind die Hexen zwar real und werden nicht nur auf Verdacht hin getötet, aber der blinde Hass ist für mich absolut unverständlich.

Prinz Lucien war mir von Anfang an eigentlich gar nicht so unsympathisch, wie die Leser ihn wahrscheinlich am Anfang finden sollen. Er ist zwar sehr arrogant und herablassend, aber er stellt sich offen gegen dieses ganze hochnäsige Gehabe und seine Worte haben doch eigentlich immer Hand und Fuß.

Die Welt, die uns für meinen Geschmack etwas zu beiläufig beschrieben wird, finde ich schon sehr interessant, aber zu ungenau. Ich hätte mir detailliertere Beschreibungen und mehr Hintergrundwissen gewünscht.

Der Schreibstil der Autorin ist modern und an einigen Stellen etwas derb, aber vor allem bei den Dialogen von Zera passt es ganz gut. Allerdings wird an vielen Stellen durch ... zensiert. Ich finde nicht, dass das eine elegante Art ist, Schimpfwörter oder einen derben Schreibstil aufzuweichen. Ich finde es eher störend. Nacher lässt das aber etwas nach, wofür ich sehr dankbar war.
Die Autorin hat einen Wortwitz, den sie gut rüber bringt und der mich darüber hinweggetröstet hat. Durch die schlagfertigen und sarkastischen Sprüche von Zera und die spitzen Dialoge kam wirklich Schwung in die Geschichte. Vor allem der Schlagabtausch zwischen dem Prinzen, seinem Leibwächter und Zera habe ich sehr genossen. Der Prinz und Zera fordern sich gegenseitig heraus und verpacken Komplimente gerne in sarkastischen Bemerkungen.
Fazit:
Die Geschichte hatte leider ein paar erzählerische Unschärfen, die mich am Ende schon etwas stören. Vieles ließ sich für mich nicht nachvollziehen. Sogar der eigentliche Konflikt und Höhepunkt der Geschichte erschien mir recht „konstruiert“ und unlogisch.

So konnte ich bis zuletzt z. B. nicht verstehen, warum das Monster in ihr– das als eigenständiges und denkendes Wesen dargestellt wird - so erpicht darauf ist, dass Zera das Herz des Prinzen stiehlt. Das würde ja bedeuten, dass Zera ihr eigenes Herz wiederbekommt und die Bestie zum Schweigen bringt. Müsste die Bestie das nicht verhindern wollen?

Auch konnte ich nicht nachvollziehen, warum Zera bis zum Schluss das Herz des Prinzen stehlen will. Das eigentliche Ziel ist es, den Krieg zu verhindern. Aber Zera hat im Laufe der Geschichte so viel erfahren, dass sie eigentlich wissen müsste, dass der Plan der Hexen eigentlich gar nicht nötig ist. Zara wird uns als cleveres Mädchen präsentiert. Ich verstehe nicht, wieso sie nicht über andere Lösungen nachgedacht hat und noch nicht einmal versucht hat einen besseren Weg zu finden.
Auch fand ich merkwürdig, dass wir in dem gesamten Buch nichts mehr über die Hexen erfahren. Haben sie im Wald gelebt, als wäre nichts passiert? Und dass die Hexen anscheinend auch nicht erfahren wollen, wie der Stand der Dinge ist, finde ich merkwürdig. Und sie sind immerhin Hexen; sie hätten doch irgendwie mit Lady Y’shennria kommunizieren können? Das haben sie ja vorher auch getan, um den Plan mit Zera zu entwickeln. Ihre gesamte Existenz hängt an einer - in ihren Augen - Sklavin. Das müsste sie doch viel nervöser und aktiver werden lassen. In meinen Augen hätten sich sehr viele Probleme durch Perspektivwechsel lösen lassen.

Aber trotz der (in meinen Augen) erzählerischen Schwächen bzw. Unschärfen, mochte ich das Buch. Die Charaktere sind der Autorin wirklich gut gelungen. Und auch Charaktereigenschaften nicht stringent durchgezogen wurden (Cleverness von Zera z. B.), konnte ich zu jeder Zeit mit den Figuren mitfühlen. Besonders toll fand ich die Wortgefechte des Trios Mal, Lucien und Zera. Wahnsinnig witzig und erfrischend. Auch die konstruierte Welt der Autorin hat mir an sich sehr gut gefallen, auch wenn ich noch nicht wirklich in die Tiefe gezogen wurde.