Bewegender Sagaauftakt zur Familiengeschichte der Sadlers, toll gelesen

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elke seifried Avatar

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Laurenz hat zum Glück zwei Brüder, die sich für die Landwirtschaft der Eltern begeistern. So kann er seinem Musikstudium in Breslau nachgehen. Dort lernt er Annemarie kennen. Für ihn ist es Liebe auf den ersten Blick und sie scheint sich auch für ihn entschieden zu haben, denn als Laurenz wenig später zurück auf den elterlichen Hof muss, bringt er sie und ihr gefährliches Geheimnis mit. Beide Brüder verunglückt, so bleibt ihm wohl oder übel nichts anderes übrig, als sich doch mit Mistgrube, Stall und Feldarbeit anzufreunden.

Als Hörer lernt man nach und nach die Familie kennen und befindet sich dann bald inmitten derer auf dem Bauernhof in Peterdorf, einem kleinen Ort in Oberschlesien. Auch wenn Laurenz´ Mutter Charlotte wenig von der neuen Schwiegertochter hält, ist Annemarie und bald auch Töchterchen Kathi sein Ein und Alles. Liebevoll geht er mit dem wissbegierigen Mädchen, das man in der Schule und bei ihrem Alltag begleiten darf, und ein paar Jahre später auch mit Franzi, der zweiten Tochter mit dem seltsamen Leiden, um. Das Leben könnte so schön sein, wären da nicht die bedrohlichen Zeichen der Politik, die auf Sturm stehen. Wird Hitler in Polen einmarschieren und wenn ja, was wird aus Oberschlesien, wird Annemarie ihr Geheimnis weiter verbergen können, was wird aus Franzi, wenn Hirnverbrannte am Werk sind? All das sind Fragen, die man im weiteren Verlauf der Geschichte beantwortet bekommt, aber mehr will ich gar nicht verraten.

Die Autorin lässt einen mit ihrer Familiensaga gelungen in der Zeit reisen. Die Zeit zwischen den Kriegen und der bedrohlich heraufziehende Sturm durch die NSDAP werden intensiv erlebbar. Der Vater Kriegsinvalide, Hoffnungen, dass Hitler seine Pläne nie in die Tat umsetzen wird, Zuversicht, dass die anderen Großmächte, dem nicht zuschauen werden, Schulalltag, der sich ändert, oder auch Warnungen, die nicht ernst genommen werden. Dann der Einmarsch in Polen, der Krieg, der die Geheimdienste auf den Plan ruft, Laurenz, der an die Front berufen wird, die Rotarmisten, die an ihnen begangenes Unrecht sühnen wollen, die Flüchtlingstrecks, … all das ist Stoff, der das dramatische Schicksal der schlesischen Familie Sadler von 1928 an bestimmt.

Dies war mein erster Roman aus der Feder von Hanni Münzer, wird aber sicher nicht der letzte bleiben, als nächstes liegt schon Honigtot hier. Der atmosphärisch dichte, bilderreiche Sprachstil der Autorin hat mich sofort gefangen genommen, ich hatte das Gefühl mit vor Ort zu sein. Sie versteht es durch ein gelungenes Spiel aus Hoffnung und tragischen Schicksalsschlägen eine spannende Familiengeschichte zu erzählen, bei der man mitfühlt, mitleidet, mithofft und bei der man unbedingt wissen muss, wie es weitergeht. Zusätzliche Spannung schafft die Autorin durch Annemaries Geheimnis, das man als Leser ja ebenfalls nicht kennt, bzw. es nur nach und nach entschlüsseln kann. Interessant fand ich auch das Thema Spionage im Roman verpackt, nicht unbedingt ganz so glücklich war ich dann aber mit der Entwicklung gegen Ende der Geschichte. Ein sechzehnjähriges Mädchen, hochbegabt hin oder her, soll für den russischen Wettlauf zum Mond so von Bedeutung sein? Das erscheint mir nicht gar so realistisch. Aber sei´s drum, das hat meine Begeisterung nur wenig Abbruch getan, weil auch hier sehr einfühlsam erzählt wird und man im Bezug auf die Familie mitfiebern kann. Ab und an darf man auch mal schmunzeln, was mir gut gefallen hat. So kann es dem Bürgermeister schon mal passieren, dass ihm seine hitlertreue Gattin den verordneten Eintopf vorsetzt, dem er davonläuft, um dann im Gasthof leider als Tagegericht nur das Gleiche serviert zu bekommen. Auch manch eine Szene, die mit einem gelungen, pointierten Satz kommentiert wird, hat mich schmunzeln lassen, wie z.B. dass es doch immer noch ein Bisschen brauner geht, als ebendiese Gattin in die Jauchegrube fällt.

Die schlaue, wissbegierige Kathi habe ich schnell in mein Herz geschlossen und ich habe die Geschichte eigentlich mit ihr gelebt. Besonders gefreut habe ich mich für sie, dass sie so einen liebevollen Vater hat, der mit aller Geduld der Welt ihre tausend Fragen beantwortet. Von ihrer Mutter Annemarie wird sie über alles geliebt, diese ist mir allerdings eher etwas fremd geblieben, auch wenn ich gar nicht begründen kann, woran das trotz ihrer warmherzigen Art liegen mag. Richtig toll fand ich auch Franzi mit ihrem Handicap auf der einen, aber ihren feinen Antennen auf der anderen Seite. Die polnische Haushälterin habe ich geliebt, sie ist eine Seele von Frau und dass ich mich in Charlotte, Laurenz Mutter geirrt habe, hat mich ebenfalls gefreut. Die Charaktere sind wirklich brillant gezeichnet, bei Frau Knecht Olek angefangen, der Kathi ein wahrer Freund ist, über die Bürgermeistersgattin Lüttich, die mit ihrer Hitlerliebe nirgends gern gesehen ist, nicht mal beim eigenen Ehemann, bis hin zu Lehrerin Frau Liebich, die so deutlich zeigt, dass man in niemanden blicken kann. Gefreut habe ich mich auch über die tierischen Mitspieler, wie den treuen Hund Oskar oder auch das Reh Peterle, das Kathi nicht von der Seite weichen will.

Mit ganz viel Herzblut war Anne Moll als Sprecherin des Hörbuchs am Werk. Empathisch mit viel Gespür für die richtige Stimmung erzählt sie diesen Roman und weiß dabei auch, jedem Mitspieler seinen ganz eigenen Stil zu geben. Ich habe ihrer äußerst angenehmen Stimme wirklich sehr gerne zugehört, man kann eigentlich von Hörgenuss reden.

Alles in allem ein Roman, der auf berührende Art und Weise eine fesselnde Familiengeschichte erzählt, und so auf gelungene Art und Weise gegen das Vergessen der Schrecken des Zweiten Weltkriegs angeht. Alleine schon deswegen ist er es Wert gelesen zu werden. Fünf Sterne sind da für mich auf jeden Fall noch drin.