Autobiographie, die zum Handeln auffordert

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ichgebäre Avatar

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Mein erster Impuls für diese Buchrezension war eine fast schon wissenschaftliche Exegese. Ich wollte ganz genau zitieren und das Buch in allen Einzelheiten auseinander nehmen. Wo bezieht sich die Autorin auf Fakten, wo auf Gefühle? Was stellt sie schlüssig dar, wo widerspricht sie sich selber?

Doch dann habe ich gemerkt, dass diese Herangehensweise dem Buch nicht gerecht wird. Es handelt sich bei dem Buch nicht um einen wissenschaftlichen Aufsatz. Es ist noch nicht mal populärwissenschaftlich. Im Gegenteil: Es handelt sich um persönliche Erfahrungen. In gewisser Weise ist es eine Autobiografie. Und wer käme schon auf die Idee, eine Autobiografie zu analysieren wie einen Fachaufsatz in einer rennomierten Fachzeitschrift?

Also habe ich einen Schritt zurück gemacht. Weg von der Tiefenanalyse und hin zu einer Buchrezension.

Worum geht es?

Sina Trinkwalder beschreibt in ihrem Buch Heimat muss man selber machen die Geschichte ihrer Firma manomama. Mit manomama wollte sie bewusst denjenigen Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben, die sonst keine Chance haben. Sie wollte ökologisch und sozial nachhaltig wirtschaften und das ganz ohne den Stempel der Gemeinnützigkeit, sondern „normal“, in der Wirtschaft, als ganz normales Unternehmen eben. Sie wollte außerdem ihren Angestellten mehr als nur einen Arbeitsplatz bieten. Sie wollte Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit bieten – Heimat eben!

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Sie hat es nicht geschafft. Sie hat es deshalb nicht geschafft, weil es sich dabei nicht um eine Aufgabe handelt, die man auf einer Todoliste abhaken kann. Es ist eine Aufgabe, die nie fertig ist. Heimat hat man nicht einmal erworben und dann in der Hosentasche. Sie muss immer wieder verhandelt werden. Immer wieder müssen sich alle Beteiligten darauf verständigen, was essentiell für den Zusammenhalt ist.

Im Buch beschreibt Sina Trinkwalder, dass sie schon glaubte, am Ziel zu sein. Doch sinkende Auftragszahlen zeigten ihr, dass jenseits der Arbeit die Menschen bei manomama nichts zusammenhielt. Es handelte sich um eine Zweckgemeinschaft.

Sie beschloss, das zu ändern.

In vielen Gesprächen kristallisierte sie die neun Grundsätze heraus, nach denen Menschen bei manomama miteinander umgehen. Anhand dieser „Liste“ von Grundsätzen zeigt die Autorin auf, wie Heimat tatsächlich gelingen kann. Sie bezieht sich dabei immer wieder auf manomama, aber weitet den Blick auch auf die Gesellschaft als Ganzes. Nicht immer ist ihre Analyse dabei unumstritten. Doch immer bewertet sie sich und ihre Mitmenschen mit Nachsicht und Güte. Auch, wenn sie es so prägnant nicht formuliert, scheint doch immer wieder durch: Wenn ich in dieser Situation wäre, würde ich vermutlich genau so handeln. Das ist auch einer der Kernsätze, die ich aus dem Buch mitnehme.

Darüber hinaus ist mir noch das folgende Spannungsfeld im Kopf hängen geblieben: Einerseits zeigt die Autorin auf, dass Menschen nicht nur Geld brauchen, sondern auch Teilhabe. Diese Teilhabe werde durch das jetzige Grundsicherungssystem genauso wenig gesichert wie durch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Andererseits sei es aber unzureichend, wenn Arbeit der einzige verbindende Faktor bliebe. Ich schließe daraus, dass sie Arbeit als wichtig sieht, aber gerade in Zeiten unsicherer Arbeitsmarktgestaltung unser gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht nur darauf gründen darf.

Meine Meinung



Das Buch liest sich flüssig und unaufgeregt. Ja, zwischendurch prangert die Autorin die verrohende Sprache oder verschwindende Tugenden an. Doch alles in allem ist der Grundton des Buches positiv. Leute, bekommt eure Ärsche hoch und macht! Dann könnt ihr was verändern! - so möchte sie es uns wohl zurufen.

[Übrigens ist das Grundeinkommen einer der wenigen Punkte, an denen ich nicht mit ihrer Analyse übereinstimme. Ich gehe nämlich davon aus, dass ein Grundeinkommen genau deshalb Teilhabe schafft, weil alle es bekommen. Es verbindet, während Hartz IV die arbeitslosen Menschen von denjenigen mit Job trennt.]

Überrascht war ich, als Sina Trinkwalder von inklusiver Sprache schrieb. Sie sei früher nicht so darauf gepolt gewesen, sehe aber mittlerweile ein, dass eine sprachliche Inklusion von Frauen und nicht-binären Personen durchaus sinnvoll sei. Sie nutze deshalb in ihrer Kommunikation geschlechtergerechte Formulierungen und das Gendersternchen. So schreibt sie. Das Buch ist allerdings größtenteils im generischen Maskulinum geschrieben. Zwischendurch gibt es Ausnahmen, wenn sie von ihren „Ladys“ in der Produktion schreibt. Aber Unternehmer, Politiker und Journalisten sind alle männlich. Schade. Dass sich auch Bücher mit Gendersternchen durchaus gut lesen (und sogar verkaufen), zeigt Margarete Stokowskis Untenrum Frei. Vermutlich hat hier der Verlag dazwischengefunkt. Wie gesagt: Schade.

Sina Trinkwalders Buch Heimat muss man selber machen lenkt den Blick weg von zugewanderten oder geflüchteten Menschen, die, wie wir leider immer noch häufig hören, sich hier „mal gefälligst anpassen sollen, wenn sie hier leben wollen“. Das Buch richtet den Blick hin zu uns selber. In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Was macht Heimat für uns so existenziell aus, dass wir ohne nicht leben können? Wie bekommen wir all die unterschiedlichen Heimatvorstellungen unter einen Hut, obwohl ja bereits (um Trinkwalders Beispiel aufzunehmen) der Bayer vom Land kaum mehr etwas zu tun hat mit dem Münchner?

Diese Konzentration auf uns selbst ist nicht einfach. Obwohl das Buch nicht durch den erhobenen Zeigefinger geprägt ist, bekam ich zwischendurch ein schlechtes Gewissen. Zum Glück bietet Sina Trinkwalder bereits das Gegenmittel gegen dieses schlechte Gewissen: Mach! Gerade ich, die ich selber ein Unternehmen habe, kann Einfluss nehmen. Als liebevollen Arschtritt kann ich das Buch deshalb genauso empfehlen wie als Gegenbeispiel zum Turbokapitalismus.

Fazit

Ich empfehle das Buch deshalb sowohl allen BWL-Studierenden und Managern, die der Meinung sind, dass man die Gesetze des Marktes weder eindämmen noch ändern kann, genauso wie allen politisch Engagierten, um ihnen Mut zu machen, dass sie etwas ändern können.

Und natürlich empfehle ich es allen Selbstständigen – besonders Frauen, denn das Buch zeigt: Es ist möglich. Wenn du nur machst.

Kleine Abzüge gibt es für fehlende Prägnanz an manchen Stellen sowie das generische Maskulinum.

Fazit: 4/5 Punkten.