Erwartungen nicht erfüllt

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wonderland09 Avatar

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Gestaltung:
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Das Titelbild zeigt eine Naturlandschaft, die Schrift ist rosa. Es wirkt wie ein erzwungenes Idyll, das durch die düsteren Farben im Hintergrund jedoch gleich zunichtegemacht wird. Es baut sich eine unheilvolle Atmosphäre beim Betrachten auf. Gleichzeitig zieht es den Leser in seinen Bann und macht neugierig.
Unterstützt wird dieser Sog durch die Gestaltung im Innenteil: Es gibt keine festen Kapiteleinteilungen, der Text ist nur in kleinere, durch Sternchen geteilte Abschnitte eingeteilt. Diese sind so kurz gehalten, dass man das Buch automatisch in einem verschlingen will.

Inhalt:
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Jana erwartet ihr drittes Kind. Da es in der Stadt mit der Familie zu eng geworden ist und zudem günstiger, zieht sie mit ihren beiden Kindern und ihrem Mann Noah aufs Land. Gleichzeitig mit dem Umzug kündigt sie auch ihre Stelle und fühlt sich zunächst festgesetzt und gelangweilt auf dem Land.
Zufällig begegnet sie in einem Café der mehrfachen Mutter und Influencerin Karolin. Diese übt von Beginn an eine große Faszination auf Jana aus und nimmt sie in ihren Freundeskreis auf. Diese neue Form von Heimat, die ihr die Frauen bieten, wirkt sich mehr und mehr auf Jana, ihre Ehe und ihre gesamte Familie aus.

Mein Eindruck:
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"Am nächsten Morgen kam eine Nachricht von Karolin: Ob sie Lust habe, mit ihr, Verena und Nina zu filzen? Jana hatte noch nie gern Handarbeit gemacht, aber sie sagte zu.
Auch wenn sie in ihrem früheren Leben in der Stadt wohl mit keiner der Frauen eine Freundschaft geschlossen hätte, erweckten die Zusammenkünfte die Siedlung für sie
zum Leben. Die briefmarkenhaften Gartenstücke, die Lastenfahrräder und SUVs, die ganze unerträgliche Neuheit dieses bis ins Kleinste durchgeplanten Ortes —
für Jana war es, als hätte ihre neue Heimat dank Karolin und ihren Freundinnen ein geheimes Eigenleben, eine verborgene zweite Ordnung eingeschrieben bekommen."
(S. 51f)

Der Klappentext hatte mich sehr neugierig gemacht. Ich bin tatsächlich durch meine Teenagertochter auf das Thema Tradwifes aufmerksam geworden, da sie es in ihrer Klasse ausgiebig diskutiert haben. Dies kombiniert mit dem Thema des Rechtsrucks, den unser Land aktuell erfährt, empfand ich als Grund genug, mir diesen Roman zu Gemüte zu führen.
Anfangs konnte ich mich auch noch sehr gut einfühlen. Jana war vorher eine Karrierefrau, die dank umfassender Kitabetreuung Beruf und Familie gut unter einen Hut gebracht hat. Erst mit dem Umzug und der Kündigung aufgrund ihrer dritten Schwangerschaft ändert sich dies. Dabei fiel es mir jedoch zunehmend schwer, Empathie zu empfinden.
Zu Beginn gehen ihr noch einige kritische Äußerungen durch den Kopf, sie stellt zaghaft Rückfragen, wenn andere Mütter ihre Kinder nicht so lange in die Kita geben, sie keinen Job ausüben oder bestimmte Bücher zum Thema Kindererziehung im Lesekreis gelesen werden. Aber der Kritiker in ihr verstummt sehr schnell und sie folgt Karolin ständig auf ihren Social-Media-Kanälen und versucht fast fanatisch, alles zu befolgen und in sich aufzusaugen von Karolin. Der Begriff "Tradwife" fällt dabei nicht, aber aufgrund der Werte, die Karolin propagiert, ist klar, dass sie eine solche verkörpert.
Janas Ehe mit Noah ist überhaupt nicht greifbar. Sie reden so gut wie gar nicht miteinander, jeder macht sein Ding, bis es zum Unvermeidlichen kommt. Empathie der Freundinnen oder gar ein Bedauern seitens Jana? Fehlanzeige.
Es ist klar, dass man auf 176 Seiten keine tiefgreifenden Abhandlungen schreiben kann. Aber dann hätte man sich vielleicht ein weniger komplexes Thema nehmen sollen oder dem Roman doch mehr Seiten spendieren sollen. Im Endeffekt verliert sich die Erzählung in vielen Andeutungen, bleibt aber zu stark an der Oberfläche. Dass mit Karolins Ehe etwas nicht stimmt, erahnt der Leser schnell, dass der Einfluss von Karolin auf Jana kein guter ist auch und man fiebert eine gewisse Zeit auf eine Auflösung hin, die dann aber leider ausbleibt bzw. enttäuscht und einen mit mehr Fragen als Antworten zurücklässt.
Schade, man hätte so viel mehr rausholen können. Aber bei einer oberflächlichen Handlung, blassen Charakteren und einem verwirrenden Ende kann ich diesen Roman leider nur sehr eingeschränkt empfehlen.

Fazit:
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Verspricht mehr als er hält: Rechtsruck, Tradwifes, blasse Charaktere und ein verwirrendes Ende konnten mich nicht überzeugen