Hinter der Idylle lauert die Ideologie

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ninaveronika Avatar

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Hannah Lühmanns Roman Heimat widmet sich der Gefahr rechter Ideologien und zeigt, wie sich diese hinter Naturverbundenheit, Traditionsliebe und Spiritualität verbergen kann.

Wir begleiten Jana, die mit ihrem Partner und den beiden Kindern frisch in eine dörfliche Gegend gezogen ist. Dort herrscht ein ganz anderes Klima als in der lauten Stadt, aus der sie kommt. Schnell freundet sie sich mit der charismatischen Karolin an, die ein völlig anderes Leben führt als Jana bisher. Karolin ist eine sogenannte „Tradwife“. Sie verbringt die meiste Zeit mit ihren Kindern, backt Brot und Kuchen, bastelt und lebt damit nach dem „Idealbild“ der „traditionellen Frau“, in dem der Mann der Versorger ist und die Frau ausschließlich für Heim und Kinder da ist.

Jana ist zunehmend fasziniert von ihrer neuen Freundin und gerät Schritt für Schritt in einen Freundeskreis, der Kinderbetreuung durch Kitas ablehnt, Impfungen verteufelt und rechtskonservatives Gedankengut hinter einer scheinbar harmlosen Fassade verbirgt.

Die Wahl des Themas gefällt mir sehr gut, da dieses leider hochaktuell ist. Es ist wichtig, auf die Gefahren des rechter Strömungen aufmerksam zu machen. Gerade die nach außen hin so friedliche Welt aus „Sauerteigbrot und Filzarbeiten“ birgt eine enorme Gefahr, wenn sie die dahinterstehende Ideologie verschleiert. Hannah Lühmann zeigt eindrücklich, wie schleichend Radikalisierung ablaufen kann und mit welchen unscheinbaren Mitteln faschistische Strömungen neue Anhänger gewinnen. Heimat macht deutlich, dass rechte Ideologien längst nicht mehr nur durch Glatzen und Springerstiefel auftreten, sondern subtil über soziale Medien in unseren Alltag einsickern.

Besonders hervorheben möchte ich den Schreibstil! Er hat eine regelrechte Sogwirkung und in der zweiten Hälfte baut sich ein hoher Spannungsbogen auf. Die Geschichte hallt nach und regt zum Nachdenken an. Gedanken, die mich sicherlich noch länger beschäftigen werden.

Leider werden viele Themen angerissen, ohne sie vertieft auszuführen. Dadurch bleiben einige Fragen offen. Vor allem das Ende ließ für meinen Geschmack zu viel Interpretationsspielraum. Insgesamt hätte ich mir mehr Einordnung und eine klare Gegenperspektive gewünscht. Manche Aussagen blieben stehen, ohne kritisch beleuchtet zu werden, was der Erzählung die Tiefe nimmt.

Trotzdem gefällt mir das Buch insgesamt gut. Sprachlich ist es großartig, und auch die Covergestaltung finde ich sehr gelungen. Dennoch bleibt bei mir das Gefühl zurück, dass hier inhaltlich noch mehr Potenzial ausgeschöpft hätte werden können.