unkritisches Mitgleiten

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lici87 Avatar

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Hannah Lühmanns Roman Heimat klingt vom Klappentext her nach einer spannenden Auseinandersetzung mit einem hochaktuellen Thema: Wie geht eine junge Frau, die mit Mann und Kindern in die Vorstadt zieht, mit einer Nachbarschaft um, in der Frauen nicht nur ein konservatives Familienmodell leben, sondern auch politisch aktiv im AfD-Milieu verankert sind? Der Stoff hätte reichlich Potenzial geboten für ein ambivalentes Erzählen: die Anziehungskraft von Gemeinschaft und Geborgenheit auf der einen Seite, die kritische Distanz zu deren Ideologie auf der anderen.

Genau diese Reibung bleibt der Roman aber leider schuldig. Jana, die Hauptfigur, wirkt wie eine Passivfigur. Statt den Zwiespalt auszuleuchten – etwa im Sinne einer Haltung von „Ich mag diese Frauen als Menschen, aber ich teile nicht ihre Ansichten – was nun?“ – gleitet die Erzählung immer stärker in eine einseitige Faszination ab. Jana übernimmt unhinterfragt die Nähe zu Caroline und den anderen Frauen, ohne die offensichtlichen politischen und gesellschaftlichen Konflikte zu reflektieren. Selbst als ihr Mann sie darauf anspricht, bleibt sie seltsam unbeteiligt.

Gerade seine Figur wirft Fragen auf: Als Sozialkundelehrer wäre er prädestiniert, klare Positionen zu formulieren oder wenigstens die politischen Dimensionen zu thematisieren. Stattdessen wirkt auch er farblos und seltsam unentschlossen, sodass die brisante Konstellation erzählerisch kaum genutzt wird.

Das Ende schließlich hinterlässt einen irritierten Eindruck – weniger als konsequente Zuspitzung, eher als eine Art Ausweichbewegung. Was hätte ein offener Konflikt, ein echtes Ringen um Werte, für Wucht entfalten können! Stattdessen wirkt der Schluss wie ein Bruch, der die bis dahin aufgebauten Fragen ins Leere laufen lässt.

Fazit: Heimat hat ein relevantes, zeitdiagnostisches Thema im Blick, bleibt aber in seiner Umsetzung blass. Wo eine reflektierte Auseinandersetzung mit Nähe, Distanz und ideologischen Grenzen möglich gewesen wäre, verengt sich die Erzählung auf ein seltsam unkritisches Mitgleiten. Das macht den Roman zwar leicht lesbar, aber auch unbefriedigend, weil er die eigene Brisanz nicht ausschöpft.