Unter die Haut gehende Grundidee, leider oberflächlich in der Ausführung

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„Heimat“ von Hannah Lühmann hat einen unheimlich spannenden Ausgangspunkt: Was passiert mit einer orientierungslosen jungen Frau, der in ihrem Familienleben etwas fehlt, wenn sie mit dem radikal rechten Milieu in Gestalt einer Tradwife-Influencerin in Kontakt kommt? Das Buch trifft von der Themenwahl her genau meinen Geschmack, und ich habe mich begeistert in die Lektüre gestürzt. Was eine tiefgründige Charakter- oder Milieustudie hätte werden können, bleibt in diesem gerade mal 170 Seiten langen Roman allerdings leider zu weit an der Oberfläche.

Jana zieht mit ihrem Partner und den zwei Kindern hinaus ins Grüne in eine Neubausiedlung. Den Job hat sie gekündigt, die finanzielle Lage ist nicht gerade rosig, und in der Beziehung kriselt es. Jana liebt ihre Kinder, schwebt aber irgendwie orientierungslos durchs Leben. Als Leser*in erfährt man nie so recht, wer sie eigentlich ist: was sie will im Leben, wo ihre Überzeugungen liegen, welche Leidenschaften sie antreiben (oder zumindest einmal angetrieben haben). Diese Kontrastlosigkeit ist es auch, die die eigentlich brisante Begegnung mit der Familien-Influencerin Karolin relativ unspektakulär verlaufen lässt: Karolin erzieht die fünf Kinder primär zu Hause, backt Kuchen und findet Kitas unmenschlich. Von Anfang an ist klar: Hier herrscht ein erzkonservatives Familienbild. Aber Jana bleibt im Kontakt merkwürdig passiv: Man begreift nicht, ob sie Karolins Haltung eigentlich ablehnt oder nicht – und folglich auch nicht so recht, wie ihre Haltung sich im Laufe des Romans verändert. Was also eine psychologisch tiefe Geschichte darüber hätte werden können, wie ganz normale Menschen in ein gefährliches Milieu abgleiten können, bleibt relativ monoton. Von Subtilität und Zwischentönen ist im Roman wenig zu spüren, stattdessen bekommen wir mehr oder weniger auf dem Silbertablett serviert, wer welche Agenda verfolgt (Janas Ehemann ist zum Beispiel ein glühender Gegner des Rechtsrucks, der im Buch klar ausbuchstabiert wird).

Trotzdem hat Lühmanns Buch auch seine Stärken. Der knappe, unaufgeregte Stil liest sich flüssig, und mit der Themenwahl trifft die Autorin trotz ausbaufähiger Umsetzung einen Nerv. Ihr nach rechts abgewandertes Deutschland mit seinen Stay-at-Home-Moms, den AfD-Ständen im Stadtzentrum und den Anschlägen auf Politiker*innen mag etwas plakativ daherkommen, fühlt sich aber doch nicht weit entfernt von der Realität an. Und auch wenn man sich bei Jana mehr Tiefe in der Entwicklung gewünscht hätte (und mehr Subtilität bei Karolins Versuch, sie auf ihre Seite zu ziehen), ist sie doch auch eine interessante Figur, gerade weil sie so wenig starke eigene Meinungen mitbringt. Vielleicht ist diese Figur sogar eigentlich keine Romanfigur, sondern eher eine Allegorie der schweigsamen Mitte der Gesellschaft, die sich ohne große Leidenschaft in die eine oder die andere Richtung ziehen lässt, je nachdem, von welcher Seite stärkere Kräfte wirken.

Insgesamt ist „Heimat“ ein Buch mit großem Potenzial, das vor allem an seiner Kürze krankt. Wäre das Szenario in doppelter Länge, mit mehr Tiefgang und psychologischer Vielschichtigkeit ausgebreitet worden, hätte das ein sehr bedrückendes, nachdenklich machendes Buch werden können. Vor allem dank des sehr abrupten Endes lässt einen die Lektüre dieses schmalen Bändchens leider ein wenig ratlos zurück. Kein schlechter Roman, aber auch keine große Leseempfehlung.