Verstörend real

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lesemanege Avatar

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Jana zieht mit Sack, Pack, Kindern & Mann aufs Dorf. So schön grün, endlich Platz - der Traum vieler Familien. Schnell lernt sie Karolin kennen, die das Leben einer „Tradwife“ führt & es auf sämtlichen Social-Media-Kanälen präsentiert. Immer häufiger verbringt Jana Zeit mit Karolin und ihren Freundinnen, erfährt Solidarität und die Dinge nehmen ihren scheinbar unvermeidlichen Lauf.

Es gibt nicht den einen großen Knall, das eine bezeichnende Erlebnis. Vielmehr arbeitet Lühmann mit dem unterschwelligen, subtilen, dem leise Fortschreitenden. Durch kleine Zwischenfälle und beiläufige Bemerkungen Karolins entsteht nach und nach ein gewisses Bild, das zunächst vage ahnen lässt, mit der Zeit immer deutlicher, schließlich explizit wird. Ein Prozess, der sich langsam entfaltet – und genau deshalb so beklemmend wirkt.

Janas Entwicklung tat mir richtig weh. Weil sie vermeidbar gewesen wäre. Ohne Job und Einflüsse außerhalb dieser neuen Bubble, hilfesuchend und sich verloren fühlend mit der ganzen Care-Arbeit ist Jana hoch empfänglich für die Vibes der Tradwife mit ihrem scheinbar so tollen Leben und den rechten Aspekten, die sie vertritt. Den Blick für die Gegenperspektive ihrer Familie verliert sie zusehends; deren Leben bleibt ihr fremd.

Dieses Buch hat mich sehr verstört zurückgelassen. Ich fand das alles unglaublich interessant aber auch unglaublich erschreckend. Die Selbstverständlichkeit mit der Lühmann die Geschichte erzählt, dieses Ruhige und immer Neutrale - da läufts mir angesichts der realen Darstellung und aktueller politischer Entwicklungen eiskalt den Rücken runter.

Ein wichtiges Buch – und unbedingt eine Leseempfehlung.