Wenn Geborgenheit gefährlich wird

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Hannah Lühmanns kurzer Roman Heimat ist eine Provokation im besten Sinn: Auf gerade einmal 170 Seiten verhandelt sie die gefährliche Schnittstelle zwischen Sehnsucht nach Zugehörigkeit und der Verführbarkeit durch reaktionäre Ideologien.
Im Zentrum steht Jana, die mit Familie aufs Land zieht – auf der Suche nach Ruhe, Einfachheit, Bodenhaftung. Was zunächst wie ein vertrautes Stadtflucht-Narrativ beginnt, entpuppt sich als beklemmende Studie über das Wiedererstarken traditioneller Rollenbilder. Jana begegnet Karolin, einer charismatischen Mutter von fünf Kindern, die ihr Leben als Tradwife-Influencerin inszeniert: Herd, Heim, Hingabe. Die Faszination ist unmittelbar, das Unbehagen wächst leise – und genau darin liegt die Stärke des Romans.
Hannah Lühmann erzählt in kühler, klarer Prosa. Sie verzichtet auf moralische Kommentare, überlässt es den Leser:innen, die Ambivalenz auszuhalten. Diese Zurückhaltung macht Heimat literarisch interessant und politisch brisant: Der Text führt mitten hinein in eine Denk- und Gefühlswelt, in der Geborgenheit nahtlos in autoritäre Muster übergeht. Dass AfD-Wahlergebnisse im Dorf wie selbstverständlich hingenommen werden, ist keine Fußnote, sondern Teil eines Systems.
Gerade in einer Gegenwart, in der rechte Bewegungen und Tradwife-Accounts Millionen erreichen, trifft die Autorin ins Mark. Dass sie ihre Leser:innen nicht mit einer klaren Auflösung entlässt, ist konsequent – auch wenn es manche unbefriedigt zurücklassen dürfte. Mich machte es schon leicht rasend. Aber wie gesagt, textlich richtig.
Fazit: Heimat ist kein idyllischer Landroman, sondern eine präzise sezierende Versuchsanordnung über Sehnsucht und Verführung. Ein schmales Buch, das wie ein Schlaglicht wirkt – und nachwirkt.
⭐⭐⭐⭐☆ (4 von 5 Sternen)