Der 79-jährige, der in einen Flixbus stieg, um nach Warnemünde zu kommen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
mammutkeks Avatar

Von

Heinz Labensky lebt in einem Feierabendheim, hat eigentlich mit seinem Leben abgeschlossen – und begibt sich doch ganz plötzlich auf eine weite Reise – von Erfurt nach Warnemünde. Statt in die Bahn steigt er in einen – ihm bis dahin unbekannten – Flixbus, ist irritiert vom offenbar indischstämmigen Busfahrer, von seinen Mitreisenden und auch von sich selbst.
Der Roadtrip über Leipzig, Berlin und Rostock ist vielleicht nicht so spektakulär wie seine Vorbilder in den USA und Schweden – und doch erzählen Anna und Michael Tsokos virtuos von einer Welt, in der so vieles anders war als in der BRD: in der DDR. Und Heinz Labensky war immer mittendrin statt nur dabei. So fuhr er die Köpfe der RAF zum Flughafen Schönefeld, die von dort in den bewaffneten Kampf in Jordanien starteten, suchte er in Carinhall das berühmte Bernsteinzimmer oder war an Spionageaktionen gegen Bundeskanzler Willy Brandt beteiligt.
Alles unwissentlich, denn Motor des als bereits in der Grundschulzeit als „förderunfähig“ abgestempelten Heinz Labensky ist seine große Liebe: Rita, die er als Junge kennen- und liebengelernt hat. Außenseiterin wie er im Dorf, dabei aber wild und unberechenbar, klug und mit einem Plan für ihr weiteres Leben. Das sollte nicht in Briesen stattfinden, sondern in Berlin – und so zieht sie mit 17 in die Hauptstadt der DDR, wohin ihr Heinz dann auch folgt. Allerdings ist die Liebe nicht beiderseitig – Rita fühlt sich eher belästigt von Heinz. Sie will dann sogar die Flucht in die BRD wagen – und verschwindet dann von Heinzens Radar, obwohl er doch noch alles tut, um einen Reisepass für Rita zu bekommen.
Erst ein Brief von Ritas Tochter, in dem vom Tod der Mutter viele Jahre zuvor berichtet wird, bringt Heinz zunächst auf den Roadtrip und dann auch dazu, seinen Mitreisenden von seinen „wilden“ Geschichten zu erzählen.
Der Roman ist toll, keine Frage – und doch ist das grundlegende Setting für mich zu konstruiert. Die Anklänge von „Forrest Gump“ und dem „100-jährigen“ sind sicherlich gewollt und auch okay. Aber es sind ja nicht einmal Erzählungen oder Gespräche mit den Mitreisenden, sondern eine Art Selbstgespräch. Heinz ist hierin eloquent, aber eigentlich doch „förderunfähig“ und wird als nicht-lesend, nicht-schreibend und doch etwas zurückgeblieben dargestellt. Da klafft für mich eine intellektuelle Lücke. Zudem wird dieser Aspekt m.E. ein wenig zu häufig aufgeführt.
Stilistisch hat mir Heinzens Sicht auf die Dinge sehr gut gefallen – auch die historischen Anspielungen und typischen ostdeutschen Begrifflichkeiten waren mir bekannt. Aber trotz allem bin ich nicht vollständig begeistert – und das hängt nicht nur mit dem Ende des Romans zusammen.