Eine lesens- und liebenswerte Sicht auf die Ereignisse

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gormflath Avatar

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Auch nach der Wiedervereinigung ist Heinz Labensky im Osten Deutschlands geblieben und verbringt nun seine letzten Lebensjahre in einem „Feierabendheim“, wie es zu DDR-Zeiten hieß. Sein ganzes Leben lang galt er als geistig minderbemittelt, die Grundschule hatte er als schulbildungsunfähiger, förderungsunfähiger Intelligenzgeminderter verlassen müssen. Lediglich Rita, seine ebenso vom Leben bestrafte Jugendfreundin, hatte an ihn geglaubt. Doch eines Tages war Rita wie vom Erdboden verschwunden, in die Großstadt im Westen wollte sie. „Heinzi“ wollte sie beschützen, aber immer dann, wenn er sie endlich wieder gefunden hatte, war sie alsbald wieder weg.
Eines Tages erreicht ihn ein Brief von der Tochter der vermeintlich toten Rita, der Fragen zu ihren Eltern enthält. Er besteigt spontan den Flixbus nach Warnemünde, um der Sache auf den Grund zu gehen. Den mit einer blühenden Fantasie ausgestatteten Labensky animieren seine Mitreisenden zu einer Reise in seine eigene Vergangenheit, Heinzi erzählt eine haarsträubende Geschichte nach der anderen. Seine Zeitreise durch die DDR-Vergangenheit berichtet von Situationen, die im Westen eher unbekannt waren: typische DDR-Gegenstände, Abkürzungen, die uns nicht geläufig sind bis hin zu Bespitzelungen eigener Bürger ebenso wie westdeutscher Personen der Stasi. Heinz ist ein kauziger, älterer Herr, der Geschichten erzählt über ein Land, das es nicht mehr gibt. Doch endlich in Warnemünde am Meer angekommen, muss er die wichtigste Entscheidung seines Lebens treffen. Will er die Wahrheit zulassen und die Realität akzeptieren und lieber weiterhin mit Luftschlössern in seiner selbst geschaffenen Fantasiewelt leben?

Rechtsmediziner Michael Tsokos und Professor an der Berliner Charité ist als Autor zahlreicher True-Crime-Thriller bekannt. Gemeinsam mit seiner Frau Anja, die selbst aus dem Osten Deutschlands stammt, erzählt er originell und warmherzig die Geschichte des liebenswerten Einzelgängers Labensky und seiner Sicht auf die Dinge. Großartig ist die Fabulierkunst des Protagonisten, die den Leser bis zum Ende darüber im Unklaren lässt, ob seine Geschichten sich tatsächlich so ereignet haben können oder seiner Fantasie entsprungen sind, denn schließlich ist Heinzi doch eher von schlichtem Gemüt. Über so manche geschilderten Ereignisse im Leben des Heinz Labensky kann man einfach nur schmunzeln.

Auch wenn die Geschichte inhaltlich eine völlig andere ist, hat mich dieser unterhaltsame Roman ein wenig an die Erzählkunst des Romans „Rückwärtswalzer: oder Die Manen der Familie Prischinger“ von Vea Kaiser erinnert.
Eine klare Leseempfehlung!