Ein unglaublich berührender Familienroman und eine Hommage an ein wunderschönes Land: Lappland!

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"Helle Tage, helle Nächte" von Hiltrud Baier erschien (HC, gebunden) im Juli 2018 im Fischer Verlag (Krüger). Das Cover zeigt typisch schwedische Blaubeeren auf weißem Hintergrund und das Papier ist etwas gewellt, was dem Buch nochmal eine schöne haptische Note gibt: Es passt auch zum sehr klaren und eingängigen sowie schön zu lesenden Schreibstil der Autorin, die in der Romanhandlung die schwere Krebserkrankung Annas mit leichter und dennoch niemals leichtfertiger Feder beschreibt und durch den stetigen Perspektivwechsel des Romans, in dem Frederike und Anna immer abwechselnd zu Wort kommen, der Schwere der Erkrankung eine gewisse Lebensfreude entgegensetzt.

Frederike (51), frisch geschieden, erfährt, dass ihre Tante Anna (72), bei der sie nach dem Tod ihrer Eltern aufwuchs, an Krebs erkrankt ist: Anna hat eine Bitte an ihre geliebte Nichte: Frederike soll einen Brief persönlich einem Petter Svakko überbringen - und eine Reise ins 3000 km entfernte Lappland antreten....

Die Themen dieses wundervollen Romans sind sehr vielschichtig: Es geht um Familie, Schwestern, Lügen und "unausgesprochene Wahrheiten", Krankheit, Verzeihen, Fehler zugeben, Angst um Verlust, Verzicht - aber auch um Authentizität, Lebenssinn, der Suche nach dem persönlichen Glück und wie wichtig es ist, diesem Gefühl nachzuspüren und es zu leben. Der Roman hat auch Elemente eines "Road-Trips" und ist eine Hommage an die Samen und die überwältigende Landschaft Lapplands.

Man begleitet Frederike in ihrem roten VW-Bus auf ihrem langen Weg nach Lappland, genießt die Hilfsbereitschaft der Nachbarin Mina, die Frederike bei sich aufnimmt, bis sie wieder gesund ist und erlebt die Berglandschaft Lapplands, die wunderschön sein muss und in die Frederike nur mit dem Helicopter fliegen kann, um Petter, der sein Leben lang leidenschaftlicher Rentierzüchter war und wegen seinen Tieren niemals wegkonnte, den Brief von Anna zu übergeben.....

Nach einem Drittel des Romans ist vorstellbar, "wie die Dinge liegen könnten", was der Spannung jedoch keinerlei Abbruch tut: Während Frederike lange Zeit alleine in Petters Kota lebt und von unterschiedlichsten Gefühlen geleitet wird - einerseits möchte sie zurück nach Deutschland, andererseits möchte sie Petter näher kennenlernen, wird sie immer mehr vom Lappland-Virus ergriffen, genießt die Stille und Einsamkeit, um nach allem, was ihr Leben erschütterte, wieder zu sich selbst und zu neuer Kraft zu gelangen.

Währenddessen quält sich Anna, ob sowohl Petter als auch ihre Nichte Frederike ihr verzeihen werden, wenn sie die Briefe gelesen haben, die sie ihnen schrieb - oder nichts mehr mit ihr zu tun haben möchten.... Bis Paula, die Tochter Frederikes, auf den Plan tritt und kurzerhand - aus Australien kommend - Anna besucht: Es gelingt ihr, Anna zu einer Reise nach Lappland zu überreden....

Die Figuren sind sehr authentisch gezeichnet und ich mochte sowohl Anna als auch Frederike auf Anhieb; auch viele sehr sympathische Nebenfiguren bevölkern diesen ergreifenden, tiefgehenden Familienroman über eine deutsch-schwedische Familie, deren Vorfahren Samen waren. Hier fand ich die kulturellen Beschreibungen der Samen und ihre Lebensweise sehr beeindruckend; besonders ihre Hilfsbereitschaft untereinander. Mir gefiel auch die tragische Figur Ibba, die Mutter Annas und Maries, der leiblichen Mutter von Frederike, sehr gut - fröhlich, lebensbejahend, abenteuerlustig, mit einem ansteckenden Lachen, hatte sie wohl Marie vieles dieser Anlagen vererbt: Anna hingegen war zeitlebens eher introvertiert, redete nie viel (besonders nicht über Gefühle); hatte dafür jedoch viel Fantasie und Empathievermögen - und liebte Sprachen, liebte es, Briefe zu schreiben.... Durch Rückblenden gelingt es der Autorin, die Lebensreisen - und gegenwärtigen Lebensfragen der Protagonisten, besonders Anna und Frederike, authentisch darzustellen und zu beschreiben; auch an Spannung fehlt es nicht.

Fazit:

Ein unbedingt lesenswerter, sehr berührender, teilweise ergreifender Roman über eine deutsch-schwedische Familie, über zwei recht ungleiche Schwestern, über den Sinn des Lebens - auch im Alter und über das zu-sich-selbst-stehen. Vielschichtig, authentisch und in klar formuliertem Sprachstil, der auch emotionalen Charakter hat - und den Leser zum Nachdenken auffordert. Auch die landschaftlichen Beschreibungen Lapplands haben es mir sehr angetan und sind wunderschön! Ein rundum gelungener Roman, der zu Herzen geht - und Verstehen lehrt.
Eine absolute Leseempfehlung von mir und 5*