Entschleunigung in Lappland

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"Es nützt nichts, mit den Eltern zu hadern. Haben wir es denn besser gemacht?"

Als Anna erfährt, dass sie an Krebs erkrankt ist, beschließt sie, die große Lüge ihres Lebens aufzuklären. Dafür schickt sie ihre Nichte Frederike mit einem Brief zu Petter Svakko in den hohen Norden, ins samische Lappland. Von diesem Auftrag ist Frederike zunächst so gar nicht begeistert - bis sie gezwungenermaßen die Stille und Schönheit der lappländischen Natur kennenlernt und am scheinbar falschen Ort doch noch das Richtige findet.

Sofort fällt an diesem Buch auf: Es geht um die Frauen. Über mehrere Generationen hinweg bekommen wir Einblicke in die Leben von Müttern, Großmüttern, Töchtern - allerdings nur durch die Augen Frederikes und Annas, deren Handlungsstränge sich abwechseln. Dadurch bleiben manche Personen, insbesondere Annas Schwester bzw. Frederikes Mutter Marie ein wenig blass, was der Geschichte allerdings keinen Abbruch tut.

Worum es bei Annas Lüge geht, war mir schon nach wenigen Kapiteln klar. Die Autorin hat einige sehr eindeutige Hinweise gegeben, die eine Überraschung im Grunde unmöglich machen - aber darum geht es auch gar nicht in "Helle Tage, helle Nächte". Es geht um die Stille, um die Schönheit und die Zartheit der Natur und um den Genuss des Alleinseins. Nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag konnte ich mir keine bessere Lektüre vorstellen, denn "Helle Tage, helle Nächte" entschleunigt und entspannt. Es verlangt keine großen Hirnleistungen, bietet einfach viel fürs Herz und den Geist. Es ist ein bisschen gelesene Meditation.

Und dennoch erfährt man auch immer etwas Neues, gerade, wenn sich Anna an ihr Leben zurückerinnert. Viele Details kommen zutage und es ist immer interessant, Anna in die Vergangenheit zu begleiten. Das bettet die Autorin so gekonnt in die stimmungsvollen Beschreibungen der Gegenwart ein, dass ein warmes, wohliges Gefühl entsteht - und bleibt.

Hiltrud Baier hat mit "Helle Tage, helle Nächte" einen atmosphärischen, entschleunigenden Wohlfühlroman geschrieben, der zur Ruhe kommen und innehalten lässt. Ohne Effekthascherei und großes Brimborium gelingt ihr so ein Buch, das ich in wenigen Stunden genussvoll verschlungen habe. Für das typische, leicht zu entschlüsselnde "Familiengeheimnis" und eine ziemlich unnötige Mini-Liebesgeschichte gegen Ende gebe ich allerdings einen Stern Abzug.