Erwartungen an Frauen in Südkorea, unerfüllter Kinderwunsch und Solidarität

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Wir begleiten sechs Frauen jenseits der vierzig, die sich teils seit Jahren in der größten Kinderwunschklinik Koreas behandeln lassen und sich in einem gemeinsamen Chat gegenseitig Mut machen, ihr Wissen teilen und Trost spenden. Die Rahmenhandlung spielt an einem einzigen Tag und zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, während wir gleichzeitig in Rückblenden die einzelnen (Leidens-)Geschichten aller Frauen kennenlernen.

Alle Frauen hegen einen Kinderwunsch, sind sonst aber ganz verschieden: da ist diejenige, die einen intrinsischen Wunsch nach einem Kind verspürt; diejenige, die den Forderungen ihrer (Schwieger-)Eltern gerecht werden will; diejenige, die sich wegen schlechter Kindheitserfahrungen ein eigenes Kind und eine stabile Familie wünscht und diejenige, die ihre Eizellen einfrieren lässt, weil sie gerade noch ihre Erwerbsarbeit priorisiert, später aber nicht unbedingt einen Mann, aber sehr wohl ein Kind haben möchte.

Obwohl ich mich bislang wenig mit Kinderwunsch, künstlicher Befruchtung und In-Vitro-Fertilisation (IVF) auseinandergesetzt habe, fand ich das Thema sofort spannend. Eine Kinderwunschklinik in Seoul? Ist Südkorea nicht seit Jahren das Land mit der niedrigsten Geburtenrate der Welt? Das Land, das mit der feministischen 4B-Bewegung (u.a. Nein zur Ehe und zum Kinder bekommen mit Männern) Schlagzeilen macht? Wie geht man in dieser Kultur mit Frauen um, die einen (unerfüllten) Kinderwunsch hegen?

„Ihr war auch der Gedanke gekommen, dass Heirat und Kinder womöglich die größten Hindernisse für weiblichen Erfolg darstellten.“

Mich haben schon „Kim Jiyoung, geboren 1982“ von Cho Nam-Joo und „Die Vegetarierin“ von Han Kang sehr beeindruckt. Beide Bücher beschäftigen sich ebenfalls mit Rollenverteilung und Erwartungen an Frauen und ich war neugierig auf eine weitere Perspektive. Tatsächlich fand ich gerade das kulturelle Umfeld spannender als die medizinischen Aspekte: die selbstverständliche und subtile Glorifizierung von Erwerbsarbeit, die Bedeutung der Schwiegereltern, der Erwartungs- und Rechtfertigungsdruck, der unabhängig von den Gründen der Unfruchtbarkeit nur auf den Frauen zu lasten scheint, die Rolle (aller) Frauen und das fehlende Engagement der Männer bei der Kinderbetreuung und nicht zuletzt die staatlichen Maßnahmen gegen die sinkende Geburtenrate wie beispielsweise IVF-Urlaubstage, die aufgrund der gefürchteten Kommentare der Kolleg:innen jedoch oft nicht genommen werden. Interessant fand ich auch, dass Katholizismus immer wieder eine Rolle spielt.

Trotz des eher nüchternen Schreibstils konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen und habe mit den Frauen gelitten, war mit ihnen traurig, wütend, es einfach nicht recht machen zu können, und habe mich mit ihnen gefreut. Während des Lesens erschien mir das ein oder andere doch etwas überzogen, doch im Nachwort erzählt Kim Eui-kyung von ihrer eigenen Erfahrungen mit einer Kinderwunschklinik - und es wird klar, wie nah ihr Roman an der Realität liegt und weshalb sie fachliche und emotionale Aspekte so hervorragend miteinander kombiniert. Das Buch lehrt sehr viel über Schwangerschaft, IVF und Kinderwunschbehandlung im Allgemeinen und obwohl ich das wirklich interessant fand, besteht in der Detailtiefe mein einziger Kritikpunkt: Es gibt so viele teils kleinteilige Erklärungen, dass ich mich zwischendrin gefühlt habe, als würde ich ein Sachbuch lesen. Das ist okay, ich mag Sachbücher, doch „Hello Baby“ ist ein Roman und bei einem solchen wünsche ich mir eher einen Figuren- oder Handlungsfokus. Beides kam stellenweise fast etwas zu kurz, auch wenn sachliche Erläuterungen, Rahmenhandlung und persönliche Geschichten insgesamt sehr gut miteinander verwoben werden.

Wer sich wirklich gar nicht für Kinderwunschbehandlungen oder koreanische Kultur interessiert, dürfte sich bei diesem Buch etwas langweilen. Allen anderen würde ich „Hello Baby“ klar empfehlen - Offenheit für diese Themen lohnt sich!