Kinderwunschbehandlung in Südkorea

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Südkorea ist das Land mit der niedrigsten Geburtenrate weltweit, 2022 lag sie bei nur 0,78 Kindern pro Frau. In diesem Roman einer Südkoreanerin, die selbst von dem Thema betroffen ist, Erfahrung mit Kinderwunschkliniken hat und der es leider nicht gelungen ist, Mutter zu werden, bekommen wir einige Einblicke in mögliche Gründe dafür und in die südkoreanische Gesellschaft insgesamt.

Es wird eine Gesellschaft geschildert, die einerseits sehr leistungsorientiert ist und den arbeitenden Menschen enorm viel Einsatz und ein hohes Ausmaß an Arbeitsstunden abverlangt, andererseits aber gerade im familiären Bereich noch sehr traditionell ist. Das zeigt sich zum Beispiel daran, welche enorme Bedeutung bei einem Paar die Schwiegereltern der Frau - also die Eltern des Mannes - und deren Wünsche und Erwartungen zu haben scheinen.

Manches junge Paar lebt sogar gemeinsam mit den Schwiegereltern, was, wie eine der fiktiven Romanfiguren sagt, bedeuten kann, mehr Zeit mit der Schwiegermutter zu verbringen als mit dem eigenen Mann, der viel arbeitet und auch beruflich oft auf längeren Reisen ist. Diese Schwiegereltern scheinen es oft auch zu sein, die unglaublichen Druck auf das Paar und insbesondere auf die junge Frau ausüben, Nachkommen - und zwar möglichst schnell zumindest auch einen männlichen - zu produzieren, und die oft davon ausgehen, dass es auf jeden Fall an der Schwiegertochter und nicht an dem eigenen geliebten Sohn liegen müsse, wenn es nicht gleich klappt.

Auf der anderen Seite ist Südkorea eben auch hochentwickelt und modern, viele junge Menschen haben die Universität absolviert und es gibt hochmoderne Kinderwunschkliniken. Die Tragik fast aller in diesem Buch vorkommenden Paare ist, dass diese Kinderwunschklinik erst relativ spät besucht wird: meistens erst Mitte/Ende 30 oder gar erst Anfang 40, wenn die Chancen auf eine erfolgreiche Schwangerschaft auch mit dieser Unterstützung altersbedingt leider schon recht niedrig sind.

Warum das so ist, wird einem auch klar, wenn man das Buch liest: zwar haben die meisten Paare sich durchaus schon einigermaßen jung und auf der Universität kennen gelernt und sind schon seit langer Zeit zusammen. Aber die südkoreanische Gesellschaft an sich scheint sehr kinderfeindlich zu sein, und das gilt noch einmal mehr für den Bereich der hochqualifizierten Frauen, so scheint mir. Es scheint normal zu sein, jahrzehntelang in einer Beziehung zu sein, aber überhaupt keine Kinder zu wollen, oder erst sehr spät.

Wenn eine Frau mal schwanger wird, kann sie nicht mit dem Wohlwollen von Seiten der Firma rechnen: es wird erwartet, dass sie bis kurz vor der Geburt beruflich die volle Leistung erbringt, sich nichts anmerken lässt, danach nur kürzestmöglich in Mutterschutz geht und auf keinen Fall das volle Ausmaß an erlaubter Elternzeit ausnützt. Aber selbst dann wird sie schief angesehen dafür. Die Entscheidung einer hochqualifizierten jungen Frau in Südkorea, Mutter zu werden, scheint also noch einmal schwieriger zu sein als bei uns in Europa. Zusätzlich besteht die enorme Gefahr, danach komplett aufs berufliche Abstellgleis geschoben und in eine sehr traditionelle Mutterrolle, im Extremfall im Haushalt der eigenen Schwiegereltern, gedrängt zu werden.

All diese ausführlich von mir geschilderten Hürden stellen den Hintergrund dar, warum eben die Mehrzahl der sechs im Buch vorkommenden Frauen sich erst so spät mit dem Thema beschäftigt und die Unterstützung der Kinderwunschklinik braucht - und selbst diese in den meisten Fällen nichts mehr bringt. Wir lernen sechs Frauen kennen, die alle zwischen Mitte 30 und etwa Mitte 40 sind und sich im Kontext der Kinderwunschbehandlung kennen gelernt haben. Es sind überwiegend sehr gut qualifizierte, beruflich erfolgreiche Frauen, etwa eine Anwältin und eine Tierärztin mit eigener Praxis.

Die Frauen gründen eine Gruppe auf KakaoTalk, einem Instant-Messaging-Dienst, der vermutlich WhatsApp ähnelt, und tauschen sich dort über ihre Kinderwunschbehandlungen aus. Bis überraschend eine von ihnen - mit 46 Jahren ausgerechnet die älteste und jene, die vor einem Jahr beschlossen hatte, die Kinderwunschbehandlung aufzugeben - postet, vor kurzem Mama geworden zu sein und alle anderen zur Babyparty einlädt... während gleichzeitig in einer Geburtenstation in der Nähe der Kinderwunschklinik ein Neugeborenes verschwunden ist und verzweifelt gesucht wird.

Sehr emotional ist das Buch nicht geschrieben. Die Geschichten der Frauen werden eine nach der anderen abgehandelt, wir erfahren etwas über ihr Leben und die Hintergründe, die sie in die Kinderwunschklinik geführt haben. Bei fünf der sechs Frauen ist es tatsächlich der akute unerfüllte Kinderwunsch, die sechste möchte mit Social Freezing vorsorgen, um eben später nicht in diese Lage zu geraten, ist aber mittlerweile auch schon Mitte 30. Ihre langjährige Beziehung ist gerade in die Brüche gegangen.

Wer sich für die medizinischen Hintergründe einer Kinderwunschbehandlung interessiert und bisher nicht viel darüber weiß, kann aus diesem Buch einiges lernen. Es wird sehr detailliert geschildert, welche verschiedenen Ursachen es sowohl auf Seiten der Frau (z.B. PCO-Syndrom) als auch auf Seiten des Mannes (z.B. Azoospermie) für den unerfüllten Kinderwunsch geben kann, welche Behandlungsmöglichkeiten (Insemination, ICSI, IVF,...) es gibt und wie diese bis ins Detail medizinisch ablaufen. Auch Ovulationstests, das Spekulieren über mögliche Einnistungsblutungen, Fehlgeburten usw. spielen eine Rolle. Es geht also wirklich um das ganze Spektrum der Kinderwunschzeit mit medizinischer Unterstützung.

Nebenbei lernt man so einiges über die südkoreanische Gesellschaft, hier eine Textstelle, die beides zeigt: ""Was ist denn ein Abortivei?" fragte Munjeong. "Es kommt zwar zu einer Einnistung in der Gebärmutter, aber das Embryo entwickelt sich nicht weiter. Ich war in der Klinik, um das Herz des Babys zu hören. Es gab eine Fruchtblase, aber ohne Dottersack und Embryo. Es war wie ein leeres Haus. Ein leeres Haus, das zumindest ziemlich geräumig gebaut war. Vielleicht hat das Baby geahnt, dass seine Eltern kein eigenes Haus besitzen, und wollte sich selbst ein ordentliches bauen..." (S. 44)"

Ich persönlich habe das Buch gerne gelesen und interessant gefunden. Die porträtierten Frauen sind mir allerdings alle emotional nicht sonderlich nahe gegangen. Das mag an der eher distanzierten Schilderung liegen, die möglicherweise mit der südkoreanischen Kultur zu tun hat (das kann ich nicht beurteilen, weil ich diese kaum kenne). Und ein bisschen vielleicht auch an den für mich sehr fremdartigen Namen (Hyekyoung, Munjeong, Jeonghyo...), bei denen ich immer wieder mal kurz überlegen musste, von welcher Frau jetzt die Rede ist. Beides kann ich dem Buch nicht vorwerfen, es handelt sich nun mal um ein übersetztes Werk aus einer Kultur, die sich von der europäischen sicher in vielem stark unterscheidet.

Wem würde ich das Buch empfehlen? Tatsächlich all jenen, die sich sowohl für Südkorea als auch für das Thema Kinderwunschbehandlung interessieren, ohne persönlich zu betroffen zu sein. Aus persönlicher Distanz und wenn man mit der eigenen Familiensituation einigermaßen zufrieden ist, ist es ein interessant zu lesendes Buch. Doch wenn jemand persönlich von bisher unerfülltem Kinderwunsch und erfolglosen Kinderwunschbehandlungen betroffen wäre, könnte es schon ein recht deprimierendes Buch sein: kaum eine der porträtierten Frauen erreicht mit der Behandlung ihr gewünschtes Ziel: ein Baby. Wer in Bezug auf dieses Thema also sensibel ist, entscheide sorgfältig, ob es gerade der richtige Zeitpunkt ist, sich so detailliert mit dem Thema in diesem Buch zu konfrontieren.