Kulturell und thematisch hochinteressant, für mich ein Highlight

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simonef Avatar

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„Hello Baby“ behandelt ein Thema, das in den meisten Gesellschaften noch immer ein Tabu ist: Unerfüllter Kinderwunsch. Darüber zu sprechen, ist für viele Paare schwierig, da das Unvermögen, auf natürlichem Weg ein Kind zu zeugen, einen sehr intimen Lebensbereich betrifft, es mit einem „körperlichen Makel“ verbunden ist und zugleich emotional für das Paar äußerst belastend. Umso beachtenswerter fand ich es, dass die Autorin Kim Eui-kyung selbst ungewollt kinderlos ist und eigene, bisher erfolglose Erfahrungen mit IVF gemacht hat.

Kim Eui-kyung erzählt abwechselnd aus der Perspektive von sechs Frauen, die zwischen Ende 30 und Mitte 40 sind und sich in einer südkoreanischen Fruchtbarkeitsklinik über Jahre IVF-Behandlungen unterziehen. Der gemeinsame Leidensweg macht sie zu Freundinnen, und sie tauschen sich regelmäßig in ihrer Chatgruppe „Hello Baby“ aus, stützen und ermutigen sich gegenseitig.

Durch ein befreundetes Paar kenne ich die Strapazen einer IVF, das damit verbundene Hoffen und die Enttäuschung bei Fehlversuchen, und vieles, was in diesem Buch beschrieben wurde, hat mich daran erinnert. Auch die Klage der Frauen über die mangelnde Unterstützung durch die Partner kam mir sehr bekannt vor.

Der Schreibstil des Buches ist klar, nüchtern, so dass „Hello Baby“ teilweise wie ein Sachbuch oder Erfahrungsbericht wirkt. Das hat mir sehr gut gefallen, da ich kein Fan übermäßig emotionaler Bücher bin. Trotz der rationalen Herangehensweise gelingt es Kim Eui-kyung, die psychische und physische Belastung der Frauen eindrücklich darzustellen.

Hochinteressant fand ich den Einblick in die südkoreanische Kultur. Im Gegensatz zu der sehr individualisierten westlichen Gesellschaft hat hier insbesondere die Schwiegerfamilie der Ehefrau eine große Bedeutung. Zugleich wird deutlich, dass sich die südkoreanische Gesellschaft in einem Umbruch zwischen Tradition und Moderne befindet: Auf der einen Seite ist da die ältere Generation mit konservativen patriarchalen Vorstellungen von Ehe und Familie, die enormen Druck auf die Frauen ausübt, ein Kind, möglichst einen Jungen, zur Welt zu bringen. Teilweise wirkt es, als würden potentielle Ehefrauen vor allem unter dem Aspekt der Gebärfähigkeit betrachtet. Und auf der anderen Seite stehen die Jüngeren, die gut ausgebildet im Beruf stehen und sich fragen, welche möglicherweise negativen Auswirkungen eine Mutterschaft haben könnte in Bezug auf Selbstverwirklichung, Selbstständigkeit und Berufstätigkeit. Angesichts der extrem frauenfeindlichen Arbeitswelt eine verständliche Überlegung. Unter welchem Druck schwangere Frauen und Mütter in der Arbeit stehen und wie sehr sie – auch von anderen Frauen – angefeindet werden, wenn sie Mutterschutz oder Elternzeit in Anspruch nehmen, hat mich wirklich erschreckt. Hier wurde mir wieder bewusst, wie wichtig die Errungenschaften sind, die sich die Frauen in Deutschland diesbezüglich erkämpft haben. Auch wenn ich manchmal den Eindruck habe, dass bei uns in vielen Bereichen eine mehr oder weniger latente Kinderfeindlichkeit vorherrscht, ist das kein Vergleich mit dem, was Kim Eui-kyung beschreibt. Dies dürfte zugleich sowohl Ursache als auch Folge der weltweit niedrigsten Geburtenrate von 0,72 Kindern pro Frau (2023) in Südkorea sein.

Mir hat dieses Buch so gut gefallen, dass ich am liebsten noch viel mehr gelesen hätte und mir der Schluss, der sehr zu denken gibt, fast zu schnell kam. Für mich definitiv ein Highlight in diesem Frühjahr.