All die ungesagten Dinge

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Henriette versteckt sich vor sich selbst, der Welt, ihrer Mutter, einfach allem. Sie ist fünfzig Jahre alt, stark adipös und allein. Allein sein mag sie, da ist die Pandemie fast schon ein Glücksfall, denn sie kann im Homeoffice arbeiten. Und dabei heimlich für ihren Arbeitskollegen, den sie nur vom Bildschirm kennt, schwärmen. Als sie die hochschwangere junge Mutter, die unter ihr wohnt, kennenlernt, beginnt ganz langsam eine Veränderung.

Diese Geschichte ist so schwerwiegend, aber so leicht geschrieben. Alles ist in der indirekten Rede geschrieben, nie gibt es die direkte Rede. Das allein schon ergibt eine besondere Stimmung. Aber was erzählt wird, ist nicht gerade leichte Kost. Noch schwerer wiegt all das, was eben nicht gesagt wird, das aber deutlich zwischen den Zeilen zu lesen ist.

Henriette hatte mich von Anfang an auf ihrer Seite, aber auch alle anderen Protagonisten haben mir gefallen, selbst die Mutter, die sich um ihre längst erwachsene Tochter doch sehr sorgt. Henriette ist eben ihr Kind! Aber Henriette merkt irgendwann, dass es gut tut, sich selbst um andere zu sorgen, aber auch um sich selbst. Und der Leser erfährt nach und nach, warum Henriette ist, wie sie ist. Hier will man Schuldige verurteilen und erkennt, dass ein Elend gern weitere nach sich zieht.

Die Art, wie Andrea Heinisch hier Sprache als Stilmittel nutzt, ist sehr gelungen und außergewöhnlich, aber genau deshalb ergreifend und intensiv. Kleine Schritte ergeben plötzlich einen großen Fortschritt. Wie ein ins Wasser geworfener Stein, der immer mehr Wellen erzeugt und als Ursache gar nicht mehr auszumachen ist.

Ein wunderbares Buch, das gewichtige Themen ganz zart anschneidet, vieles Ungesagt lässt, aber dennoch davon erzählt. Große literarische Kunst! Fünf Sterne.