Henriette - 190 Kilo Einsamkeit

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Henriette hat es nicht leicht im Leben und das im doppelten Sinn. Denn erstens hat sie eine Mutter, die so ziemlich alles an ihr kritisiert, getarnt durch Fürsorge und Sichkümmern. Und zweitens leidet Henriette unter einer Essstörung und wiegt inzwischen 190 Kilo.
Sie geht nicht mehr vor die Tür, kann sich kaum noch bewegen, die nächste Gewichtszunahme droht, bald wird sie auf Hilfe angewiesen sein. Ihre Mutter zeigt ihr deutlich, wie sehr sie unter ihrer Tochter leidet, spielt selbst das Opfer, enttäuscht von der dicken Tochter, die nicht wie erwünscht, eine erfolgreiche Pianisten geworden ist.
Dabei ist Henriette eine begnadete Buchhalterin, ihre Arbeit erledigt sie perfekt. Die Pandemie hat ihr in die Karten gespielt, denn im Home Office musste sie sich keinen abwertenden Blicken aussetzen, konnte ihr Essen bestellen. So zog sie sich noch weiter zurück.
In der Wohnung unter ihrer lebt Sonja, mehrfache Mutter. Henriette überwindet sich und fragt sie, ob sie ein paar Stunden bei ihr putzen könnte und sich etwas dazuverdienen möchte. Sonja stimmt zu. Außerdem bekommt Henriette in der Arbeit einen Kollegen an die Seite gestellt. Möchte man sie los werden? Doch Martin und Henriette verstehen sich gut. Sie kennen sich nur über Zoom, doch sie ticken ähnlich in ihrer Arbeitsweise und Henriette mag ihn.
Plötzlich hat sie wieder Kontakte und langsam beginnt sich bei Henriette etwas zu bewegen. Ihr reicht es, sie will wieder leben und wagt erste Schritte, traut sich langsam auch wieder hinaus. Und ganz langsam erfahren wir auch, wie die Essstörung entstanden ist. Die überkritische, abwertende und unzufriedene Mutter hat ihren Beitrag, aber das ist nicht alles.
Andrea Heinisch widmet sich hier einem Thema, das mit vielen Vorurteilen behaftet ist. Poetisch, auch humorvoll und vor allem berührend erzählt sie ihre Geschichte. Ich mochte den Roman sehr, fand ihn trotz des schwierigen Themas schön zu lesen.
Mich hat er zum Nachdenken angeregt und vielleicht hilft er ja, das eine oder andere Vorurteil gegenüber dicken Menschen zu beleuchten.
Ein kleiner, sehr feiner und ungewöhnlicher Roman.