...Welle kam und Stern und Kreis zerfiel...

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Der zweite Roman von Anja Jonuleit beschäftigt sich mit der Suche nach dem eigenen Ursprung .
Tochter Maja  wird von ihrer Mutter Lilli, zu der sie seit 10 Jahren einen nur dürftigen
Grußkartenkontakt hatte, eingeladen. Als sie abends zur Mutter der Wohnung kommt, ist diese
tot - am gleichen Morgen war sie von der Dachterrasse
gefallen, gesprungen, geschubst worden, was auch immer.

 

Das ist bitter, für jede Aussprache ist es zu spät.
Maja teilt die Auffassung der Polizei von Selbstmord nicht - das würde so
gar nicht zu der Persönlichkeit passen - und beginnt zu forschen.

Es scheinen sich viele Geheimnisse um Mutter und Großmutter zu ranken.
Im Nachlaß finden sich Dokumente aus der Vergangenheit, die die Protagonistin Maja
an ihrer Herkunft zweifeln lassen.
Auf der Geburtsurkunde ihrer Mutter fehlt der Eintrag des Vaters.
(Und genau dieser wichtige Fakt für den Roman steht auf töneren Füßen, denn
laut Biograpie der Oma ist das eigentlich unlogisch!)
Verschiedene Entdeckungen bringen sie zu ganz neuen Erkenntnissen.
Es muss ein Manuskript über das Leben der Großmutter existieren, wo ist es?
Und nicht alle, die sie befragt, sagen die Wahrheit.
Wem kann sie trauen, wer lügt? Ist ihr Leben auch in Gefahr ?
Dass dadurch auch ihr Privatleben aufgewühlt wird und die Beziehung zu ihrem Freund kriselt,
ist nur verständlich.

Jonuleits Roman könnte genausogut dem Genre Krimi zugeordnet werden.
Es vereint sich die Vielschichtigkeit eines Romans mit Spannung pur.
Majas Forschungen, aus ihrer Perspektive gesehen, werden immer abgewechselt
mit Ausschnitten aus einem Manuskript,
der Autobiographie ihrer Oma Charlotte über die  40-50er Jahren, in denen sie von zu Hause weglief und ihr
Kind in einem Entbindungsheim zur Welt brachte.
Der Leser erfährt dadurch die damaligen Ereignisse früher als Maja, kann einige Parallelen
zu Majas Leben erkennen und eine gleichzeitige Zuspitzung im Manuskript so wie in der
Gegenwart verfolgen.
Dabei erfährt man viel über die SS-Organisation Lebensborn,
damalige deutsche Mütter- und Entbindungsheime. 

Maja wächst dem Leser mit all ihren Schwächen und Eigenheiten ans Herz.
Gut, sie wankt etwas zu oft nicht witterungsgerecht angezogen verzweifelt durch Wien.
Aber die Mischung aus Selbstvorwürfen, Verdacht und Angst, mit der Maja sich quält,
lassen das dann nachvollziehbar erscheinen.

Ich empfinde die Ausdrucksweise der Autorin  als bemerkenswert präzise,
dabei durchaus poetisch und reichhaltig.
Nicht ohne Grund wird sie ein Gedicht von Kaschnitz an den Anfang
ihres Romans gestellt haben, es paßt hervorragend.
Auch Titelbild- ein Foto von Mutter und Kind aus den 40er Jahren, unterlegt mit einer Manuskriptseite und herbstlichen Blättern - und Titel finde ich gelungen.
Gegen Ende erklärt sich, warum der ansprechende Titel Herbstvergessene gewählt wurde.

Die eine oder andere Entwicklung ist vorhersehbar,
viele unerwartete Wendungen gleichen das aber wieder aus.
Der Leser wird mit Maja in einen Strudel von Vergangenheit und Gegenwart hineingerissen,
erfährt von Dingen, die drei Generationen betreffen: Oma, Mutter und Tochter.
Die Spannung bleibt bis zum fulminanten Ende erhalten.
Hier wird es strenggenommen allerdings schon etwas unglaubwürdig.
Einen Stern ziehe ich leider deswegen und wegen der unlogischen Geburtsurkunde ab.

4 funkelnde Sterne für intelligente und spannende Unterhaltung!

P.S. Noch in diesem Jahr wird ein weiteres Buch der Autorin erscheinen, ich bin gespannt.