Landleben 2.0

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Schauplatz des Debutromans von Martina Behm ist ein fiktives 200 Seelen- Dorf in Schleswig- Holstein. Hierher sind vor drei Jahren Ingo und seine Frau Lara mit ihren beiden Kindern gezogen. Sie haben eine Hypothek aufgenommen und sich ein altes Bauernhaus mit einem großen Garten gekauft. Vor allem Lara will weg vom Trubel und der Anonymität der Großstadt. Auch für die Kinder wäre doch ein Aufwachsen inmitten der Natur viel idyllischer. Aber das Ehepaar ist längst nicht so glücklich wie erhofft. Ingo fühlt sich erschöpft von der ständigen Pendelei nach Hamburg, wo sein Start- Up- Unternehmen seine ganze Energie frisst. Und Lara ist einsam, denn so richtigen Anschluss an die Dorfgemeinschaft hat sie nicht gefunden.
Da fährt nachts auf seinem Heimweg Ingo eine weiße Hirschkuh an. Das verletzte Tier muss getötet werden. Doch was hat es mit dem alten Aberglauben auf sich, dass derjenige, der eine weiße Hirschkuh tötet, binnen eines Jahres selber sterben muss?
Diese Frage beschäftigt nicht nur Ingo und seine Frau, sondern auch andere Dorfbewohner. Auch wenn niemand der alten Weissagung Glauben schenkt, so kommen doch viele ins Grübeln und beginnen ihren Lebensentwurf zu hinterfragen. Was würde man ändern, wenn man nur noch ein Jahr zu leben hätte?
Der Leser begleitet nun mehr als ein Dutzend Figuren ein ganzes Jahr lang.
Wie geht es mit Ingo und Lara weiter? Ihre Ehe kriselt schon eine ganze Weile. Lara fühlt sich allein gelassen mit der Erziehung der Kinder, der Hausarbeit und dem großen Grundstück. Schließlich bräuchte sie mehr Zeit für ihren Job als freiberufliche Grafikdesignerin. Und Ingo zieht sich emotional immer mehr zurück, will nicht reden über seine zunehmende Unlust im eigenen Betrieb. Seine beginnende Freundschaft zum Förster Uwe sorgt für eine weitere Entfremdung zwischen den Eheleuten.
Aber nicht nur die Probleme der Zugezogenen beleuchtet die Autorin. Aus wechselnden Perspektiven erfahren wir von den Schwierigkeiten, mit denen Landwirte heute zu kämpfen haben. Vieles hat sich verändert. Wenn man finanziell über die Runden kommen will, sind Zugeständnisse zu machen. Mit einem idyllischen Bauernleben hat das alles nichts mehr zu tun. Uwe z.B. hätte gerne den Umstieg zur ökologischen Landwirtschaft geschafft, doch seine Bank gab ihm nicht den nötigen Kredit dafür. Nun hat er einen riesigen Mastbetrieb für Schweine. Erholung und Ausgleich findet der alleinlebende Eigenbrötler nur auf seinen Touren im Wald.
Oder Sönke mit seinem Geflügelmastbetrieb, der keine Rechnungen mehr liest und auf einen Burnout zusteuert.
Oder Enno, der seinen Frust darüber, dass keiner der Söhne den Hof übernehmen will, an seiner Frau Tove auslässt.
Gerade auch an den Frauen macht Marita Behm die Entwicklung auf dem Dorf deutlich. Es sind unterschiedliche Frauengenerationen mit unterschiedlichen Rollenverständnissen.
Tove z.B. lässt sich lange von ihrem Mann Enno schikanieren , nicht nur, weil eine Scheudung nicht zu ihrem Bild einer Landfrau passt, sondern auch, weil sie finanziell von ihrem Mann abhängig ist.
Maggie ist aus Liebe zu Sönke aufs Dorf gezogen, hat ihren Traum von der Hotelfachfrau in New York aufgegeben und versucht nun, die perfekte Landfrau zu sein. Bis sie merkt, wie viel Kraft es sie kostet, diesem Image zu entsprechen.
Mit ihrer Tochter Marieke wächst eine andere Frauengenerationen heran, eine, die selbst die Richtung vorgibt und sich nicht mit der traditionellen Rolle der Landfrau begnügt.
Armin und Jutta sind die letzten, die aus einer Gruppe von Aussteigern übergeblieben sind. Eine Kommune haben sie hier gegründet, schon vor Jahrzehnten. Mit viel Idealismus und Illusionen den Traum vom freien und autarken Landleben geträumt. Nun teilen sich nur noch die Zwei die alte Schmiede, die Platz für viele Menschen böte. Jutta gibt Kurse im Schlachten von Hühnern und Armin renoviert leerstehende Häuser und Möbel. Die beiden verbindet Freundschaft oder doch ein bisschen mehr?
Marita Behm schaut genau hin, auch hinter die Fassaden. Sie lässt uns immer tiefer in das Beziehungsgeflecht der einzelnen Figuren bzw. Paaren hineinblicken. Dabei erzählt sie von Eheproblemen, finanziellen Nöten, althergebrachten Zwängen, geplatzten Träumen und manchem mehr.
So entsteht ein lebendiges Bild vom Leben auf dem Land, zwischen Tradition und Aufbruch, zwischen Landlust und harter Arbeit. Romantisiert wird hier nichts, es ist keineswegs eine Idylle, aber auch keine Hölle, in der sich tiefe Abgründe auftun. Nein, alles wirkt äußerst realistisch und glaubhaft.
Auch die Figuren sind wie aus dem Leben gegriffen und ihre Beweggründe und Gefühle werden überzeugend vermittelt. Tiefe bekommt der Roman auch durch Rückblicke in die Vergangenheit einzelner Personen.
Das alles ist so packend geschildert, dass auf den beinahe 500 Seiten nie Langeweile aufkommt, sondern ein stetes Interesse, wie es wohl weitergehen mag. Auch das Ende hat mich überzeugt. Kein Happy- End, aber manches hat sich zum Positiven entwickelt.
Martina Behm hat mit ihrem Debut Unterhaltungsliteratur vom Feinsten geschaffen und man darf gespannt sein auf weitere Romane von ihr.