Tolle Tipps, trotzdem hat mich einiges gestört.

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sternchenblau Avatar

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Die letzten Jahre haben wir bewusst aufs Fliegen verzichtet und in Deutschland Urlaub gemacht. Dieses Buch wollte ich daher sofort lesen, um mir ein paar mehr Ideen zu holen. Und in „Hiergeblieben“ habe ich wirklich tolle Anregungen gefunden.

„Sehnen Sie sich nach skandinavischweiten Wasserlandschaften, temperamentvollen Samba-Klängen oder einer romantischen Gondelfahrt? Dann bleiben Sie einfach hier: Zwischen Alpen und Ostsee finden sich viele exotische oder zumindest überraschend ungewöhnliche Orte und Landschaften.“

Jens van Rooij verbindet immer ein fernes Reiseziel im Ausland mit einem spannenden Ort in Deutschland. Das Konzept der zwei Orte, die sich ähneln, habe ich vor kurzem erst bei dem tollen Kindersachbuch „Atlas Obscura Kids Edition“ sehr gelungen gefunden. Hier nun werden Traumziele wie die Lavendelfelder der Provence mit der Lüneburger Heide verbunden, auch optisch, denn eine Karte zeigt jeweils, wie weit die beiden Orte voneinander entfernt liegen.. Naturschauplätze und Kulturorte wechseln sich dabei schön ab.

Mir gefällt der Gedanke, dass Schönheit oftmals ganz nahe bei uns liegt. Gerade in Bezug auf den Klimaschutz ist das eine tolle Aussage eines Reiseführers.

Der internationale wird wie der heimische Ort mit einem tollen Foto gezeigt, dann gibt es eine kleine Einführung. Danach folgen jeweils zwei Restaurants- und Hoteltipps und weitere Ausfugstipps für die Umgebung.

Die Anregungen waren super und ich werde das Buch deswegen sicherlich häufiger zur Hand nehmen. An einige Stellen, wird auch erwähnt, ob Kinder dem Tipp etwas abgewinnen können. Viele Texte habe ich auch recht gerne gelesen.

Leider haben mich auch einige Sachen mächtig gestört.

Warum werden Querverweise im Buch nicht immer extra gekenntzeichnet? So doppelt sich einiges, aber Leser:innen, die das Buch nicht von vorne bis hinten lesen, kriegen so vielleicht nicht mit, dass über die Himmelsscheibe aus Nebra auch an anderer Stelle mehr und anderes zu lesen ist.
Niemand fährt wegen einer Hängebrücke in eine bestimmte Ecke Deutschlands, daher braucht es die Zusatztipps. Bei denen gibt es leider nur sehr sporadisch Fotos.
Dann fiel mir immer wieder auf, dass Frauen kaum erwähnt werden. Ganz deutlich wurde das beim Künstlerdorf Worpswede, bei dem Fritz Mackensen, Hans am Ende, Otto Modersohn, Fritz Overbeck und Heinrich Vogele genannt werden – die kunstgeschichtlich bedeutendere Paula Modersohn-Becker allerdings nicht.

Richtig geärgert habe ich mich allerdings über einige Formulierungen. Die sollen flappsig und witzig wirken, ich finde sie allerdings völlig daneben. Ich kann mich noch erinnern, dass schon in den 1990ern bei Besuchen der Hundertwasser Häuser in Wien den Tourist:innen verboten war, an den Privatwohnungen zu klingen. welche Massen in Wien vor den Hundertwasser Häusern standen. Ich kann mir also vorstellen, dass die Bewohner der Hundertwasser Waldspirale in Darmstadt, sich beim Autor des Buchs sicherlich nicht bedanken würden, falls die Leser:innen seinem schlechten Scherz nachkommen würden: „In den Etagen darunter haben über 100 Wohnungen Platz gefunden. Ob darin nur schillernde Persönlichkeiten leben? Man könnte ja mal klingeln und nachfragen.“ Ebenfalls ignorieren sollte man folgenden Tipp im Hochsommer: „Lassen Sie Ihren Hund im Auto, er muss sonst in einem Zwinger warten.“

Aber, es kommt noch schlimmer: „Beim Namen Flensburg bekommen sportliche Autofahrer häufig Schnappatmung.“ Das finde ich eine fahrlässige Verharmlosung von Verkehrsdelikten. „In der Nazizeit erfuhr das Museum einen traurigen Aderlass“ – harmlos ist da noch untertrieben. Und Polanski wird als „skandalumwitterter französisch-polnischer Regisseur“ bezeichnet. „So verpasste Polański denn auch die Berliner Premiere von »The Ghostwriter«, da er in der Schweiz in Untersuchungshaft festsaß. Die Produktion wurde dennoch mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet – auch Sylt sei Dank.“ Nein, so was möchte ich nicht mehr lesen. Nein, so was möchte ich nicht mehr lesen. Fällt das beim Lektorat keinem Menschen auf?

Fazit
Die Tipps finde ich klasse und ich hätte dafür auch locker 5 Sterne gegeben. Die flappsige Sprache und einige No-Gos für mich, haben das Lesevergnügen aber deutlich geschmälert. 2,5 Sterne, erst hatte ich aufgerundet, aber mit etwas Abstand ist mir klar, dass das schale Gefühl bei diesem Buch deutlich überwiegt.