Aufwachsen unter Kontrolle des chinesischen Staats

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sarahjanebooks Avatar

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Lai wächst in einer Pekinger Arbeitersiedlung in den 1970ern/80ern auf. Ihre einzige Vertraute ist ihre eigensinnige Großmutter. Wie ein Damoklesschwert hängt die Überwachung durch den Staat über ihr und allen anderen. Als Studentin erlebt sie das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens mit, was ihr Leben für immer verändert.

Himmlischer Frieden ist ein ruhiges Buch: Es fiktionalisiert das Leben der Autorin Lai Wen in China. Sie verwendet viel Platz auf ihrer Beziehung zu ihrem Bruder und der Familie, ihre Schulkarriere, ihre Freunde und ihrer Wohnsituation in einer Siedlung, wo alle alles von allen mitbekommen. Obwohl ich handlungsgetriebene Romane lieber mag, hat mich das in diesem Fall nicht gestört. Lai Wen zeigt nämlich ein Bild von China in den 1970ern und 80ern, wovon ich nichts wusste. Außerdem ist Lai, die Erzählerin, in ihrer zurückhaltenden Art eine gute Beobachterin und charmante Person, der ich gerne gefolgt bin. Manchmal sind ihre Beschreibungen aber grenzwertig langwierig. Ich habe immer mal wieder überlegt, ob ich etwas überspringe, weil eine Passage nicht so wichtig schien für den Rest der Geschichte, aber irgendwie hat mich der Schreibstil verzaubert und ich bin immer dabei geblieben. Als Lektorin hätte ich dennoch vorgeschlagen, irgendwo was zu straffen, damit es nicht 550 Seiten werden.

Während sie so die allgemeine Stimmung im Land aufbaut, zeigt, dass Menschen, die ihre Meinung sagen wollen, drangsaliert werden und in allen Bereichen Gehorsam erwartet wird, beginnt die Geschichte rund um den "Höhepunkt", das Massaker am Platz des Himmlischen Frieden, erst ungefähr bei Seite 400. Das Buch heißt auf Englisch Tiananmen Square, nach dem anderen Namen des Platz des Himmlischen Frieden. Auch im Klappentext wird dieses Ereignis betont. Da habe ich schon erwartet, dass dem mehr Platz eingeräumt wird und es nicht 400 Seiten Vorgeschichte gibt, auch wenn es wichtig war zu verstehen, woher diese Proteste damals kamen. Dieser Vorfall, und das Ende, waren für mich etwas antiklimaktisch.

Trotzdem hat mir Himmlischer Frieden gut gefallen; einfach weil ich gar nichts über die chinesische Geschichte wusste und mich nie mit dem Massaker beschäftigt habe und es besonders schön war zu sehen, dass Lai keine laute Anführerin war, sondern eher eine von hunderttausenden Studentinnen, die dabei war, und deswegen aus der Mitte heraus berichten kann.