Eine Kindheit in China: Historisch interessant, Umsetzung etwas zäh - 3,5⭐️

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
downey_jr Avatar

Von

"Ich hatte gelernt, wie man für sich bleibt. Meine Einsamkeit war nichts, das ich hasste oder das mir unangenehm war - paradoxerweise fühlte sie sich tröstlich an, wie eine warme Decke, in die ich mich hüllen konnte; etwas, das mich vor der Welt da draußen beschützte. Etwas, das mich vor anderen Menschen beschützte - und vor ihrer Gewaltsamkeit."

Der Roman „Himmlischer Frieden“ von Lai Wen ist ein historisch interessantes Buch mit autobiografischen Zügen.
Hauptperson ist das Mädchen Lai. Sie wächst in einem Pekinger Arbeitsviertel auf. Ihr Vater ist recht schweigsam, ihre Mutter streng (und für mich wirkte sie oft kalt, abweisend und herzlos). Allein ihre Großmutter ist eine sehr präsente und liebevolle Person, wenn auch nicht ganz einfach. Doch Lai und ihr Bruder lieben sie bedingungslos.
Schon als Kind lernt Lai nach einem Kinderstreich mit Freunden die brutale Härte des Regimes kennen:

"Eine Stimme von weit weg. Sie wurde lauter. 'Es ist nie nur ein Spiel. Nichts ist nur ein Spiel. Wessen Idee war es? Wer hat sich einen solchen konterrevolutionären Plan ausgedacht? Dem Geist des Staates zu trotzen, dass sein wohlwollendes Licht auf alle loyalen Bürger scheinen lässt? Wer steckt hinter diesem unverfrorenen Akt antipatriotischer Sabotage?'"

"In jenem Moment schien Gens Gesicht ausdruckslos, seine Augen dunkel und leer - und doch begriff ich, dass er mich anschaute, und ich wusste instinktiv, dass er seine Entscheidung getroffen hatte. Einfach so. Ich wusste ohne jeden Zweifel, dass er sagen würde, es sei meine Schuld, und dass ich diejenige sei, die ist geplant hatte. Und auch wenn ein Teil von mir aufbegehren wollte, war die Kombination aus Erschöpfung und Angst und Schmerz so groß, dass ich zum ersten Mal in meinem Kinderleben ein ursprüngliches Gefühl der Hoffnungslosigkeit empfand. Es machte nichts, dass Gen mir gleich die Schuld an allem geben würde, dass er verraten würde, dass ich diejenige war, die sich den wahnsinnigen Plan ausgedacht hatte. Nichts bedeutet mehr etwas."

"Ich hatte noch nie erlebt, dass mein Körper so sehr in Mitleidenschaft gezogen war, niemals hatte ich eine solche Verletzung erlebt. Der pochende Schmerz war immer noch da, trotzdem konnte ich den Blick nicht abwenden. Ich war gerade zu hypnotisiert von dem, was mir angetan worden war."

Dank eines alten, freundlichen Buchhändlers bekommt Lai Zugang zu Büchern, die sie uns ihr Denken verändern.

"Ich war schon immer fasziniert von Wörtern gewesen. Oft versuchte ich, mich solange wie möglich mit ihnen zu beschäftigen, besonders mit denen, die ich nicht kannte. Ich bewegte sie in meinem Mund, kostet sie wie eine Süßigkeit."

"Ich las das Buch nachts in meinem Zimmer, unter der Bettdecke verborgen, und benutzte eine kleine Taschenlampe. Ich las mit einer Begierde, wie sie nur Kindern eigen ist; so hungrig, dass ich es kaum erwarten konnte, das Buch zu Ende zu lesen, obwohl ich gleichzeitig genau das fürchtete, denn dann würde ich wieder in meine eigene Wirklichkeit zurückkatapultiert."

"'Außerdem ", fügte er hinzu, "sind Bücher dazu da, gestohlen zu werden.'
'Wie meinen Sie das?', wollte ich wissen. Für einen Buchhändler schien mir das eine sonderbare Aussage zu sein.
Der alte Mann sah mich an.
'Meiner Meinung nach stiehlt jeder von uns, wenn er ein Buch liest, ein kleines Stück dieses Buches. Eir nehmen uns etwas davon, und was wir nehmen, wird zu einem Teil von uns. Die einzige Frage ist deshalb - was hast du dir davon genommen?'"

Als Lais Großmutter dement wird und stirbt, ist das ein harter Verlust für sie.

"Was die Demenz meiner Großmutter mich lehrte, was sie uns alle lehrte, war, dass es möglich ist, um die Lebenden genauso zu trauern wie um die Toten. Eine Person zu vermissen, auch wenn sie immer noch am Leben ist. Ihren Verlust zu spüren, obwohl sie noch da ist."

Bald verliebt Lai sich in Gen, den sie schon von Kind an kennt, der jedoch aus einem ganz anderen sozialen Umfeld kommt.
Dank eines Stipendiums bekommt Lai ein Stipendium an der renommierten Universität in Peking, wo sich ihr eine ganz neue Welt eröffnet. Sie schließt sich 1989 den Protesten der Studenten an...

Ich fand das Buch historisch interessant, man bekommt ein gutes Bild vom China der 70er- und 80er-Jahre. Leider war die Umsetzung etwas zäh, oft langatmig geschrieben und es passierte nicht wirklich viel. Es ist ein eher ruhiger Roman, der Durchhaltevermögen beim Lesen erfordert.
Bei einem Roman, in dem es um Widerstand und Revolution geht, hätte ich mir hier etwas mehr Intensität gewünscht.
Für mich daher kein Highlight, aber dennoch ein interessantes Leseerlebnis, das ich mit 3,5 ⭐️ bewerte.