Lernen ohne zu denken ist umsonst. Denken ohne zu lernen ist gewagt. (Analekten, 2.15)
Dieses Buch hat mich sofort interessiert, bietet es dem Leser einen interessanten Einblick in das Leben in China. Peking, die riesige Hauptstadt Chinas, kann auf eine dreitausendjährige Geschichte zurückblicken, dieses Buch ist ein Teil der Geschichte, eine Geschichte über Lai und ihre Familie. Wie hat Lai und ihre Familie gelebt in einem Land das durch den Parteistaat Menschrechte wie Meinungs-, Versammlung-, Religions- oder Pressefreiheit einschränkt? Das Buch ist nicht Politisch oder regimekritisch geschrieben, vielleicht wäre das auch jetzt noch nicht möglich, dieses Buch so in China zu veröffentlichen. Doch um was geht es in dieser von der Autorin fiktiven Geschichte mit autobiographischen Zügen? Der Leser lernt Lai kennen, die mit ihrer Familie in einem Arbeiterviertel in Peking lebt, die vorherrschenden Lebensbedingungen können wir uns in unserer westlichen Welt vermutlich nur sehr schwer vorstellen. Ein Familienkonstrukt ergibt sich quasi von selbst, eine Generation wechselt in die nächste, aber alle scheinen in ihrem privaten Rückzug zu leben, einer Ablehnung, wenig Zuneigung und betretenes Schweigen. Doch kann man eine Geschichte verschweigen, man spürt beim Lesen wie groß die Angst ist bloß nicht aufzufallen, nicht hochzusehen. Der Leser erlebt Lai von ihrer Kindheit bis hin ins Erwachsenenalter, Lai entdeckt für sich die Sprache der Bücher was ihr letztendlich auch den Weg auf die renommierten Universität in Peking ebnet. Lai hat durch ihre vermeidliche Zurückhaltung indirekt sehr viel zu sagen, was in sehr warmer Schreibweise immer wieder in das Buch einfließt und die Geschichte tragend erzählt. Bereits an Kind erfährt Lai durch einen Kindlichen Leichtsinn die Härte des Regimes, was sie nie vergessen wird. Das Buch bietet auch mehrere Einblicke in Traditionen in China, Lais Großmutter zum Beispiel nähte Lederschuhe für Frauen mit Lotusfüßen, das Füßebinden war ein bis ins 20. Jahrhundert in China verbreiteter Brauch, bei dem die Füße von kleinen Mädchen durch Knochenbrechen und anschließendes extremes Abbinden irreparabel deformiert wurden, es galt als Schönheitsideal. Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Geschichte ist die studentische Protestbewegung 1989 auf dem Der Tian’anmen-Platz oder Platz (am Tor) des Himmlischen Friedens, Lai wird Teil dieser Bewegung, die Autorin Lai Wen hat selbst an dieser Protestbewegung teilgenommen was dem Roman eine authentische Tiefe verleiht. China hat bis heute die allgemeine Berichterstattung zum Vorfall auf dem Platz des Himmlischen Friedens zwar nicht aus den Köpfen der Menschen gelöscht, aber aus den Geschichtsbüchern und Nachrichten, ein erzwungenes Vergessen. Nur noch ältere Chinesen wissen etwas über das wahre Geschehen. Ich fand dieses Buch sehr interessant und bewegend geschrieben, ich habe es sehr gerne gelesen und möchte andere Leser dazu einladen, ein sehr lohnenswertes Debüt. Vielen Dank.