Schein und Sein

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marialein Avatar

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Die Welt von 2088, die Tom Hillenbrand in seinem Thriller Hologrammatica heraufbeschwört, ist äußerst befremdlich - und dennoch gar nicht so abwegig wie man hoffen mag, führt der Roman doch einige Entwicklungen aus der heutigen Zeit weiter.

Statt der kleinen und größeren Staaten, die wir heute kennen, gibt es nur noch eine Anzahl von riesigen Föderationen wie die EURUS-Föderation, CANFED usw. Die Weltbevölkerung hingegen ist innerhalb der 70 Jahr drastisch geschrumpft - Ein völlig neuer Virus macht jede infizierte Frau unfruchtbar, so dass das Wachstum der Menschheit in kürzester Zeit stark zurückgegangen ist. Zudem treibt der Klimawandel die Menschen immer mehr in kältere Gefilde, so dass unter anderem Sibirien einen riesigen Zuwachs erfährt, während die Welststädte der heutigen Zeit wie London oder Paris geradezu verlassen sind.

Ein anderer Aspekt ist aber im Alltag noch viel präsenter: Tatsächlich sind alle großen Städte an das Holonetzwerk angeschlossen, so dass hologrammatische Projektionen kleinere Retuschen an der Realität vornehmen, Makel sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich kaschieren oder gar ganze Gebäude erscheinen lassen, die gar nicht (mehr) da sind.

Das holografische Netz ist in etwa so präsent und selbstverständlich wie heute unser Stromnetz - nur äußerst entlegene Orte sind noch nicht daran angeschlossen, und wenn es in großen Städten einmal ausfällt, herrscht ein vergleichbares Chaos.

Auch den eigenen Körper kann man holografisch aufhübschen. Doch noch befremdlicher ist die neueste Mode der "Quants", die ihr Gehirn scannen und in ein Gefäß - sprich Körper - hochladen lassen. In dieser Welt ist nichts wie es scheint, noch weniger als dies heute schon der Fall ist.

Vor diesem Hintergrund erhält nun Galahad Singh, Quästor und verkappter Saxofonist, den Auftrag, die verschwundene französische Programmiererin Juliette Perrotte zu suchen Dabei kommt er zum ersten mal so richtig mit dieser "Quant"-Szene in Berührung und lernt die verschiedenen, teilweise einfach nur kranken, Strömungen kennen. Und er stößt auf eine Super-KI, eine künstliche Intelligenz, die geschaffen wurde, um eine Lösung für die globale Erwärmung zu errechnen - und diese Aufgabe sehr effizient und gründlich erfüllt.

Obwohl das Geschehen aus heutiger Sicht (noch) ziemlich schräg und weit hergeholt erscheint, liest man sich gut in die Handlung ein und kann sich auch problemlos in die Charaktere hineinversetzen. Das ist nicht selbstverständlich, da der Roman voll von unbekannten Konzepten und Begriffen ist, die man erst einmal nachvollziehen muss, um der Handlung folgen zu können. Tom Hillenbrand gelingt es, das Nötigste kurz, aber unterhaltsam, zu schildern.

Zwischendurch wurde mir die Handlung dann doch etwas zu verworren, es passiert so viel auf einmal, dass man kaum noch hinterherkommt. Dafür bleibt es durchweg spannend. Und etwas Verwirrung ist ja auch durchaus beabsichtigt, da die zentrale Frage des Romans - Sollten wir einer künstlichen Intelligenz die Macht über unser aller Leben erteilen? - letztlich offen und es dem Leser überlassen bleibt, ob das Ende nun ein Happy End ist oder der Anfang einer Katastrophe. Das ist ja auch eher eine philosophische Frage, die jeder für sich beantworten muss, der Roman gibt dafür allerdings interessante Denkanstöße.

"Hologrammatica" ist ein anspruchsvoller Roman, der sich angenehm liest und gute Unterhaltung bietet. Für Fans des Genres auf jeden Fall zu empfehlen!