Was für ein Lesespaß!

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annajo Avatar

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2088, Europa: Galahad Singh ist Quästor. Seine Arbeit besteht aus der Suche nach vermissten Personen, was im Zeitalter von sogenannten "Cogits" ein durchaus schwieriges Unterfangen ist. Menschen können entweder in den Körpern von Klonen unterwegs sein oder gar "Gefäße" voller anderer Optik verwenden. Hinzu kommt das Holonet, das noch jede Menge optischer Täuschungen generieren kann. Singh soll nun eine vermisste Programmiererin finden, die an sehr heiklen Dingen gearbeitet hat. Ehe es sich Singh versieht, steckt er mitten in einer riesigen Sache drin und die Gegenspieler zeigen übermenschliche Fähigkeiten. Wo ist die Programmiererin hineingeraten und lebt sie überhaupt noch?

Ich bin kein großer Science-Fiction-Leser, einen guten Wissenschaftsthriller lese ich dagegen ganz gern hin und wieder mal. Hillenbrand ist es gelungen, beides auf sehr gelungene Weise miteinander zu verbinden. Ich fand dieses Buch wahnsinnig spannend und flog förmlich durch die Seiten. Von einigen der Grundideen her hat mich das Buch an die Netflix-Serie "Altered Carbon" erinnert, die ich vor Kurzem beendet habe. Im Kern geht es in beiden um die Entkopplung von Körper und Geist. Wie lassen sich Wissen und Erinnerungen extern speichern, damit man sich mehrerer Körper bedienen kann, ohne seinen eigentlich Körper zu beschädigen? Und was kann man dann damit alles machen? Letztendlich geht es dabei auch um die Unsterblichkeit, nach der die Menschheit strebt.
Das Buch lässt sich auch deshalb flüssig lesen, weil viele Erklärungen sehr einfach gehalten sind. Ich war mir auch nicht immer sicher, wie realistisch die Erklärungen und Gegebenheiten waren, aber zugunsten von Spannung und Unterhaltung habe ich mich damit nicht aufgehalten. Vor allem spielt das Buch mit Zukunftsvisionen und -träumen der Menschheit, aber auch mit der Skepsis gegenüber Technik und künstlicher Intelligenz. Während alle gern die Annehmlichkeiten genießen, stellen sich manche die Frage, was und wem sie noch trauen können. Und während die Abhängigkeit von der Technik immer größer wird, stellt sich zunehmend die Frage, was passiert, wenn diese Technik mit ganz eigenen Motiven gesteuert wird.

Die Hauptfigur des Romans ist erfrischenderweise mal kein hochattraktiver, mega-erfolgreicher Jungspund, sondern Singh ist ein Mann mittleren Alters, der eigentlich Erbe eines Milliardenimperiums ist, doch dieses nicht antreten will. Und das in einer Zeit, in der die vom Klimawandel zerstörte Welt eigentlich nur noch von Supernationalen, also rieisigen Konzernen, die sich bis in den Weltraum erstrecken, regiert wird. Interessant ist auch, dass Singh homosexuell ist, das aber absolut natürlich in diesen Roman einfließt, in keinster Weise im Vordergrund steht und auch überhaupt nicht belehrend oder pädagogisch wirkt. Sowieso spielen Sexszenen in diesem Buch keine Rolle, außer dass sie am Rande angedeutet werden und auch hierbei natürlich wirken, ohne dass der Leser dabei das Schlafzimmer betritt und zum Voyeur wird. Das ist eine erfrischende Abwechslung zu vielen anderen Romanen, bei denen man das Gefühl hat, dass immer mindestens eine Sexszene untergebracht werden müsste. Dementsprechend ist auch der "romantic interest" hier eher Nebensache und dient wohl mehr dazu, Sympathien zu weiteren Figuren und ihrem Schicksal aufzubauen. Singhs sexuelle Orientierung beeinflusst zwar dessen Leben, aber bestimmt nicht vordergründig die Handlung des Buches oder die Charakterzeichnung der Hauptfigur.

An manchen Stellen mag die Handlung erst einmal ein wenig verworren wirken, aber die Puzzleteile fallen immer recht bald und vor allem am Ende an ihren richtigen Platz und ergeben Sinn. Und vor allem wird dabei immer der Spannungsbogen aufrecht erhalten. Das offen gehaltene Ende lässt auf eine Fortsetzung hoffen. Also ich wäre sofort wieder an Galahad Singhs Seite.

Hillenbrands Buch "Hologrammatica" hat mich sehr gut unterhalten. Zudem hat es durchaus auch zum Nachdenken angeregt, auch wenn vielleicht nicht alles aus Sicht von Technologen glaubhaft, realistisch oder technisch machbar war. Mir erschien es plausibel genug und "Hologrammatica" ist mein Hochspannungsbuch dieses Frühjahrs, das ich auch gern weiterempfehle.