Auszeit ohne Hindernisse

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Anne führt gemeinsam mit ihrer Freundin in Hamburg ein Cateringgeschäft. Gerade dachte sie noch, sie hätte auch endlich den richtigen Partner fürs Leben gefunden, beendet er per Kurznachricht ihre Beziehung. Diese Nachricht enttäuscht noch viel mehr ihre Mutter, die endlich auf Enkelkinder hoffte. Dass sich nun auch noch Tante Tilly ankündigt, muntert niemanden auf. Die eigensinnige Dame muss mit ihrem Mops Hugo zum Tierarzt und quartiert sich kurzentschlossen bei Annes Eltern ein. Als sie von Annes Situation hört, lädt sie sie kurzentschlossen auf ihren Ökohof an die Lübecker Bucht ein.

Brigitte Janson hat in ihrem dritten Roman erneut eine unglückliche Situation für die Protagonistin geschaffen, ihr ein paar Nebenfiguren an die Seite gestellt und sie dann mit Herz und Optimismus an die Lösung gehen lassen. Nebenbei spielt ebenfalls wieder die Liebe zum Backen und Kochen eine große Rolle. Dieses Mal geht es dabei um den süß-saftigen Holunder, der viele Rezepte aufwertet. Die eindeutige Stärke des Romans sind allerdings die Landschaftsbeschreibungen. Die Gegend an der Ostsee wird mit all ihrer spröden Schönheit beschrieben. Dort gibt es eben nicht nur Sonnentage, sondern auch Regen.

Die wenigen Charaktere ergeben eine Mischung, die alle Emotionen zwischen tiefster Trauer und unbeschreiblichen Glück hervorrufen. Schon am Beginn der Liebes-/Tragikgeschichte ist ersichtlich, wohin der rote Faden führen wird. Eine unfreiwillige Singlefrau nimmt sich eine Auszeit, um ihrer in die Jahre gekommenen Tante bei deren Geschäft zu helfen. Die Tante hat nicht mehr zu bieten als einen freien Wohnwagen und jede Menge Eigensinn. Unwillkürlich muss man sich fragen, ob das das Richtige ist, wenn jemand an Liebeskummer leidet. Anne scheint sich daran nicht zu stören. Sie hat sich vom ersten Augenblick in den Landarzt und Witwer Carsten verliebt, der mit seiner Teenager-Tochter gleich um die Ecke wohnt. Er leidet seit fünf Jahren unter dem Verlust seiner Frau und hat in der Zeit eine dicke Schutzmauer um seine Gefühlswelt gezogen, findet dann aber in der gemeinsamen Sorge um Tante Tilly eine klitzekleine Lücke.

Der zweite Handlungsstrang windet sich um Tilly und ihren Verehrer Thies. Thies riecht zwar immer nach Fisch, hat aber das Herz am rechten Fleck. So nimmt er es Tilly auch nicht übel, dass sie ihn den größten Teil der Geschichte immer wieder vor den Kopf stößt. Manche Gefühle sind eben so stark, dass sie sich durch nichts vertreiben lassen. Erst der Schluss verdeutlicht, wieso jeder so handeln musste, wie er es tat.

Der Roman hat eigentlich alles, was man sich wünscht. Wieso gibt es also nur eine Empfehlung unter Vorbehalt? Die Autorin hat die rasche Entwicklung der Gefühlswelt mit mehreren Drehungen um die eigene Achse verlangsamen wollen. Die Figuren haben alle schlimme Erlebnisse zu verarbeiten, blicken aber im nächsten Kapitel schon wieder zuversichtlich in die Zukunft, um sofort wieder ihren Selbstzweifeln zu erliegen. Es werden Hürden übersprungen, die jegliche Authentizität vermissen lassen. Wer sich daran nicht stört, bekommt eine Story geboten, in die er versinken kann. Die Schilderungen der Ostsee, der Botanik und eben die Vorstellung um die leckeren Holunderherzen wickeln dann so richtig ein. Ich bin vermutlich zu nüchtern für derartige Handlungen, sodass mir vorwiegend die zögerlichen Fortschritte ins Auge fielen. Ein bisschen mehr in die Pötte kommen, hätte hier nicht geschadet.