Aufregend, oder doch nur albern? Your Choice!

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laberlili Avatar

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"Eine Adaption der Geschichte rund um Lizzie Borden?", das war mein erster Gedanke angesichts des Klappentextes, und tatsächlich wird die Figur der Lenora Hope in diesem Roman auch frühzeitig von der ich-erzählenden Protagonistin Kit als "die örtliche Lizzie Borden" bezeichnet;diese Assoziation ist also nicht allzu weit hergeholt.
Kit, eben noch selbst im Zentrum eines Skandals stehend, welcher zunächst zaghaft angedeutet wird und dem Leser im weiteren Verlauf des Romans in Gänze enthüllt wird, wird von ihrem Chef als Ersatz der bisherigen Pflegerin, die sich unvermittelt abgesetzt hat, nach Hope’s End geschickt, um die häusliche Betreuung Lenora Hopes sicherzustellen. Kit verspürt bezüglich dieses Engagements zwar gleich ein unbehagliches Gefühl, aber dies scheint im Nachgang des sie betreffenden Skandals ihre letzte Chance auf eine weitere Anstellung zu sein und hey, selbst wenn Lenora Hope vor (übrigens etwas mehr als) 50 Jahren ihre ganze Familie ermordet haben sollte - was soll sie einem nun, gelähmt und im Rollstuhl sitzend, schon groß antun können?
Im Hope-Anwesen trifft Kit noch auf die Verwalterin Miss Baker und den Koch Archie, die beide schon zum Zeitpunkt der Morde für die Familie tätig waren und Lenora Hope seither die Treue halten, sowie ein deutlich jüngeres Zimmermädchen sowie eine Art Gärtner-Hausmeister, die beide seit unter 5 Jahren dort angestellt sind: Kit ist Anfang 30, Lenora Hope ist rein rechnerisch 1912 geboren, der Roman spielt über 50 Jahre, nämlich Anfang der 1980er, nach der sich 1929 ereignet habenden Bluttat - und die Zeitstränge fand ich teils doch sehr seltsam, vor Allem da der aktuell immer noch aktive Polizist auch klare Erinnerungen an die Umstände des alten Falls hat. Zeitweise wirkte der Roman auf mich in diesem Sinne generell wie eine Ansammlung von alten Leuten, die von Dingen erzählten, die sich erst gestern (als sie dabei alle selbst erst 15-25 Jahre alt waren) zugetragen zu haben schienen, und von jungen Leuten, die von denselben Dingen wie von einer 100 Jahre alten Stadtlegende sprachen.
Ich glaube, für mich hätte es realer gewirkt, wäre der Hope-Mordfall etwas gewesen, das sich erst irgendwann in den Jahren kurz vor Kits Geburt ereignet hätte. Jedenfalls schien es heutzutage in der Stadt dort aber keine Menschen zwischen 40 und 60 zu geben.

Ich habe diesen Roman übrigens zwar geliebt; ich hatte zuletzt einige Schwierigkeiten, mich in Bücher einzufinden, aber diese Geschichte hat mich nun gleich eingesogen, dass ich auch nicht von ihr ablassen wollte, bis ich am Ende angekommen war, was nun für mich Grund genug ist, "Hope's End" mit 5 Sternen zu bewerten. Jedoch: Diese Geschichte hat dermaßen viele Logiklücken (nicht nur dass z.B. der erwähnte Polizist auffällig jung geblieben zu sein scheint; nein, er hat einerseits Kit noch immer auf dem Kieker und macht gar keinen Hehl aus seiner Abneigung ihr gegenüber, aber andererseits tritt er bereitwillig als wandelnder Wikipedia-Eintrag auf, wenn Kit etwas zur tragischen Geschichte der Hope-Familie wissen will) und überkandideltes Drama (natürlich droht das am Rande der Steilküste stehende Herrenhaus mitsamt des Felsens unter ihm nun gleich abzubrechen, aber solange Lenora Hope das selbst nicht will, wird natürlich nichts und niemand evakuiert, nach dem Motto "wenn das Haus runterfällt, sollten halt alle besser schnell zu fliegen lernen") und als ob das Ende des Hauptteils dann nicht schon spektakulär genug ausfiele, gibt es im Nachgang ein noch viel größeres Spektakel. Ein Showdown nach dem Showdown! Wie aufregend! Oder einfach nur albern. Wie gesagt: ICH hab’s geliebt. :)

Lenora Hope erzählt nun in diesem Roman also klammheimlich Kit mit Hilfe einer Schreibmaschine ihre gaaaaaanze Geschichte, zwar willens, den wahren Täter zu enthüllen, aber "XYZ war’s wirklich" ist natürlich zu einfach für eine gelähmte Frau, die unter Mühen nur noch vereinzelte Finger bewegen kann, und wie unaufregend! So muss man noch hoffen, dass die alte Dame überhaupt bis zum Schluss kommt, und bangen, dass sie just dann an Altersschwäche und Gebrechlichkeit sterben könnte, wenn sie erst am Tag der Morde angekommen ist.
Joah, diesen Roman kann man wohl wirklich nur aufregend oder albern finden.

Sagers zuletzt auf Deutsch erschienenes "NIGHT - Nacht der Angst" fand ich als Thriller doch überzeugender; da war alles sehr viel subtiler und feiner verwoben, aber der war halt auch nicht so aufregend wie "Hope's End: Du kannst niemandem trauen". Oder eben nicht so albern. (Aber das Lesen hat zumindest mir halt wahnsinnigen Spaß gemacht.)