Der “Hassan-Countdown”

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zauberberggast Avatar

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Queere Texte sind - wenn man so will - mein täglich geistig Brot, mit dem türkischen Kulturraum hatte ich aber bislang wenig Berührungspunkte. “Hundesohn” ist daher für mich eine Mischung aus Vertrautem und Unbekanntem gewesen.

Am Anfang des Textes habe ich gedacht: Aha, Filzläuse - die “Downsides of Casual Dating” und dann das Schwärmen von diesem Hassan aus der Türkei - Adana, dreitausend Kilometer von ihm entfernt - den der deutsch-türkische Ich-Erzähler scheinbar liebt. Etwas experimentell, viel Sprachspiel (Deutsch - Türkisch - Arabisch - Englisch - Französisch - Slang, etc etc), viel Religiosität, Multi- und Interkulturalität. Und natürlich: Berlin, Berlin. Ich habe mit einem soliden 4-Sterne-Buch gerechnet - am Anfang, weil es mich etwas verwirrt hat. Doch dann hat mich diese spröde, moderne, witzige, intime Geschichte dieses Mittzwanzigers, der wie so viele Mittzwanziger in der Literatur etwas “lost” wirkt, immer mehr gefesselt: das welpenhaft Verspielte, das hundeschnäuzig Kalte, das Kafkaeske, das Echte. Ich habe mit dem - aufgrund der Namensgleichheit mit dem Autor wahrscheinlich autofiktional inspirierten - Zakariya mitgefiebert. Ich habe den Hassan-Countdown” mitgezählt, den Orangen-und-Salz-Geruch seiner (Hassans) Achselhöhlen in mich aufgesogen. Ich bin mit Pari beim Mäcci gesessen und habe mir Pommes, Intellektuelles und Zotiges mit ihr reingezogen. Überhaupt Pari, sie ist wirklich toll *schwärm*. Jeder queere Mann und jede Frau braucht eine solche Freundin.

Ist dieses Buch eine kafkaeske Parabel, ein Gleichnis? Kafka ist gleichzeitig Leitmotiv und gebetsmühlenhafte Versicherung eines literarischen Erbes, das der Ich-Erzähler wie einen intertextuellen Regenschirm über sich und sein Buch spannt. So wie Kafkas Werke fordert auch “Hundesohn” eine mehrfache Lektüre geradezu heraus - bei jedem Lesen werden sich neue Bedeutungen erschließen, werden den Lesenden neue Dinge auffallen: Was bedeutet das Einverleiben von Hassan mittels seines Schamhaares? Sind die Sonnenblumenkerne, die Dede zwischen seinen Zähnen zermalmt, eine Allegorie auf die interkulturelle Sinnsuche des Protagonisten? Die vielen Gerichte, die Nene kocht, ein Sinnbild für die verschiedenen Religionen und der Hunger des Ich-Erzählers steht dafür, dass es nur einen Gott gibt?

Ein Text, der viel Anlass zum Weiterdenken gibt und sowas ist immer feiernswert. Auf jeden Fall eine Leseempfehlung für alle, die leicht “verrückte”, verklausulierte Texte und Kafka mögen. Und für alle, die nicht prüde sind und nichts gegen Körperlichkeit haben.