Zeitgenössisch, roh, Berlin

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Zeitgenössisch, roh, Berlin. Der Roman "Hundesohn" ist all das, und zwischendurch dachte ich, es ist mir irgendwie zu viel und gleichzeitig zu wenig, aber wenn ich jetzt drüber nachdenke, dann liegt die Unzulänglichkeit nicht im Inhalt oder in der Sprache, sondern einzig und allein bei mir.

Der Roman aus Sicht des queeren und muslimischen Protagonisten ist auf vielen Ebenen ungewöhnlich. Der Sprachenmix fällt mir ein, dass einfach türkische, arabische, französische Sätze nebeneinanderstehen, als wären sie selbstverständlich. Und dann fällt mir ein: Sie sind es. Vielleicht nicht für mich, aber für viele andere Menschen. Ebenso der Konflikt zwischen Glauben und Sexualität und Lifestyle, der hier aber nicht als solcher adressiert wird, sondern einfach in einer Person existiert.

Auch die Frage nach Identität, nach Sinn, nach Ankommen, nach „Sein“ kann hier als zentrales Motiv ergänzt werden. Ich denke, es lohnt sich, den Roman nicht abzubrechen, auch wenn man zwischendrin kurz das Gefühl bekommen könnte, eben dies zu tun, weil er ungewöhnlich ist, oberflächlich auf der einen und doch so tiefgründig, wenn man zwischen den Zeilen und über die Zeilen hinaus liest.

Mir ist auch klar, dass die Zielgruppe für diese Art von Geschichte wahrscheinlich sehr klein ist und doch größer, als man vermuten würde. Ich denke, der Roman wird die Geister scheiden, denn man kann ihn als wirklich wunderbares, mehrmediales Kunstwerk der Zeit sehen oder als recht derben, obszönen Provokationsakt. Und darin liegt für mich schlussendlich das Besondere. Über das Cover kann man streiten, über den Preis für eine recht dünne Lektüre auch, aber eins ist es mit Sicherheit: authentisch.

Und daher muss man das Werk vom Leser trennen und sagen: Ich bin vielleicht nicht bereit dafür gewesen, aber ich erkenne seine künstlerische Qualität an und gratuliere dem Autor zu dieser Veröffentlichung, die bereit sein muss, sich aufgrund ihrer nicht abzustreitenden Kontroversität im Diskurs zu behaupten.